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Spuren in der Stadt

September 16, 2013

Notenspur?

Ich hatte davon gehört. Hat irgendwas mit Tourismus zu tun. Eine Art Spaziergang durch Leipzig vorbei an Orten der Musikgeschichte. So wie man das eben in Reiseführern findet. Gibt’s ja auch anderswo und anders thematisch.

Dann hatten Rozhinkes letztens unter der Löffelfamilie ihr nächstes Konzert angekündigt, am 14. In Apels Garten.

Apels Garten? Da finden Konzerte statt?

Na wie dem auch sei, da mir der Auftritt der kleynen Kapelye unter der Leuchtreklame viel zu kurz war, war ich wild entschlossen, eine Woche später in Apels Garten aufzuschlagen. Ich guggelte und fand: Die Notenspur. Es geht also nicht nur um Tourismus, sondern  um die öffentliche Wahrnehmung Leipziger Musikgeschichte, wenn ich das mal ganz kurz zusammenfassen darf. Um die Verflechtung  mit u.a. architektonischen und denkmalsgeschichtlichen Aspekten.

Und am Samstag fand ein sogenanntes Wandelkonzert auf den Spuren jüdischer Musik statt.  Das heißt, es würde nicht nur Rozhinkes geben, sondern auch Klassisches am Mendelssohn-Ufer, den Synagogalchor an der Gedenkstätte der Großen Synagoge und zum Abschluss eben Klezmer.

Das klang nach einer guten Mischung. Den Synagogalchor wollte ich auch schon immer mal hören und wo bitte schön, ist denn das Mendelssohn-Ufer?

Ich verabredete mich mit Gudrun und dann stellte ich kurz vor 16:00 Uhr verblüfft fest, dass ich an diesem Ufer im Sommer gern mal nach der Arbeit sitze, mit Kaffee, einem Buch und einer Feierabendzigarette. Na so was aber auch. Da geht man Musik hören und lernt noch was über Ufernamen.  Das nenne ich mal Verflechtung.

An diesem Ufer also, wo ich sonst gern lese, gleich neben der Büste des Herrn Mendelssohn, nur ein paar Schritte von der nach ihm benannten Hochschule für Theater und Musik, spielte zunächst Komödienblech Werke von Bach, Lortzing, Grieg und dem Meister himself. Der Name sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass das Quintett ernsthafte klassische Musik sehr seriös vortrug, Komödie leitet sich lediglich vom Spielort der Herren Bläser, der Musikalischen Komödie, ab.

Leider, oder sollte ich sagen natürlich?, fing es an zu regnen. Also ehrlich, den ganzen Tag Sonne, und wenn ich Kultur mache, regnet es.

Die Herren Musiker zogen unter einen Baum. Ich wurde nass, (Ich sollte mir wirklich angewöhnen, einen Schirm oder so was einzupacken) und verzog mich später unter ein Dach.

Wegen des Regens sang der Leipziger Synagogalchor nicht an der Gedenkstätte, sondern in der Thomaskirche, was mir zunächst seltsam erschien. Aber Griseldis Wenner, die ganz wunderbar durch alle Programmpunkte führte, beruhigte mich und andere Zweifler, dass das auch früher nicht unüblich gewesen sei. Die Thomaner hätten manchmal, wenn es dem Synagogalchor an Stimmen gefehlt hätte, sogar ausgeholfen. Drüben, in der Großen Synagoge, die da bis 1938 stand, bis zur Nacht des 9. November.

Das es jüdische sakrale Gesänge gibt, dürfte ja nun kein Geheimnis sein. Das es auch Chöre und sogar Orgeln in Synagogen gab, war mir völlig neu. Ich kannte bis dahin nur den Wechselgesang zwischen Vorsänger und Gemeinde.  Allerdings waren (seit dem 19. Jahrhundert)  diese Art Chöre wohl nur in Deutschland und Mitteleuropa anzufinden. Diese Tradition fand mit der Machtergreifung der Nazis ein jähes Ende und spielt wohl auch heute keine Rolle mehr. Der Leipziger Synagogalchor nun, es gibt ihn, erfahre ich verblüfft, schon seit 50 Jahren, bewahrt und pflegt die Tradition, hält die Erinnerung an Komponisten wie Samuel Lampel, Samuel Naumbourg oder Louis Lewandowski wach und singt auch noch in der Art Hebräisch, wie es früher in Deutschen Synagogen gesprochen wurde.

Und die Musik? Ich bin hin und weg. Es ist ..  gewaltig, beeindruckend, berührend. Der Tenor ist großartig. Ehrfürchtig lauschen wir den Gesängen und trauen uns tatsächlich erst zu klatschen, als die Moderatorin dazu auffordert.

Und dann in Apels Garten. Dort stand bis zur Nacht des 9. November 1938 die Ez-Chaim-Synagoge, die größte orthodoxe Synagoge Sachsens.

Ein trauriger Platz, eine Lagerhalle in bedenklichem Zustand, ein paar Garagen und eine  beschmierte Schautafel.  Das liegt mir ziemlich schwer im Magen.

Es sind jetzt, im Gegensatz zum ersten Konzert im Wohngebiet,  doch ein paar mehr Zuschauer da. Getanzt wird trotzdem nicht. Ob das am Altersdurchschnitt liegt oder am Ort, ich weiß es nicht. Ich verdächtige aber schon die Zuhörer. Zwei Drittel trauten sich nicht mal auf den Platz vor der Lagerhalle. Vielleicht schreckte sie der Maschendrahtzaun? Wie dem auch sei, Rozhinkes war Klasse und: Es regnete nicht! Jedenfalls bis fast zum Schluss nicht. Natürlich spielten sie viel zu kurz. Aber ich hätte auch dem Synagogalchor noch zwei Stunden zuhören können. Muss ich mal extra hingehen. Und zu Rozhinkes auch. Und so ein Wandelkonzert, das ist schon was feines, wenn es so vielfältig ist.

Übrigens, ich erwähnte hier öfter den 9. November 1938, da werden bald wieder Stolpersteine geputzt. Sicher auch in Ihrer Stadt. Das nur als Hinweis für alle, die sich jedesmal nach meinem entsprechenden Blog sagen „Ach, das wollte ich ja auch machen“ und dann vornehmen, das nächste Mal bestimmt dabei zu sein. Hier finden Sie eine Liste der Städte mit Stolpersteinen. Ist sicher was in Ihrer Nähe dabei. Liste

Und über die Brodyer Synagoge in Leipzig, die sowohl Tausendjähriges Reich als auch die DDR überlebte, habe ich hier schon mal geschrieben.

Und ausnahmsweise gibt es heute auch einen Musiktipp: Das Inglot Klezmer Trio – Jeruszaleim szel zahaw

7 Kommentare leave one →
  1. September 17, 2013 11:21 pm

    Danke für die Erinnerung, den Stolpersteintag hab ich mal in den Kalender eingetragen.

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  2. September 19, 2013 10:24 pm

    Leider, leider gibt es in München noch keine Stolpersteine…

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  3. September 20, 2013 11:03 am

    Ein wunderbarer Artikel. Macht sofort Laune auf Wandelkonzert und Leipzig (ich muss da sofort hin). Und vom Stolpersteinputzen wusste ich bisher noch nicht, danke! Ist notiert!
    Liebe Grüße!

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