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Stadt der (Glas)türme

September 14, 2014

Aufmerksame Leser meines Blogs wissen, mindestens einmal im Jahr muss ich mich auf den neuesten Kenntnisstand bringen. Mindestens einmal im Jahr tue ich das auf einem Kongress. Manchmal kommen noch Reisen anderer Art dazu, aber dieser eine Kongress ist Pflicht. Der findet manchmal in Deutschland statt, manchmal im Europäischen Ausland.

Dieses Jahr in Frankfurt. In Frankfurt am Main.

Frankfurt am Main? Da war doch was? Nachdem ich jahrelang nur durch die Stadt gefahren war auf dem Weg nach sonstwohin, verbrachte ich im letzten Sommer einen Abend dort und stellte verblüfft fest: Da gibt es ja nicht nur Hochhäuser. Also verlängerte ich die drei auf-den-neusten-Kenntnisstand-bring-Tage ums Wochenende. Römer gucken. Mindestens. Und außerdem, wer weiß, vielleicht steigt ja zufälligerweise der Herr Ärmel vom Schwarzen Berg hinunter in die Stadt.

Emails hin und her, und, was soll ich sagen, die Chancen standen gut, je näher der Termin rückte, desto besser wurden sie und schließlich war sicher, wenn der Herr Ärmel genug Unfug im Regenwald getrieben hätte, könnten wir uns so ab Samstag frühen Nachmittag treffen.

Doch zunächst logierte ich auf Kosten des Dienstherrn in der Kaiserstraße und lauschte auf der Messe so interessanten Vorträgen wie zum Beispiel zum Wandel des Mensch-Tier-Verhältnisses in den letzten 70 Jahren, Ursachen und Entstehung des Veganismus (Sie ahnen es, das hängt eng mit dem Thema des ersten Tage zusammen), lernte eine Menge über freilebende Nacktmulle, studierte Poster, diskutierte mit Kollegen, ließ mich von Industriepartnern auf den Maintower schleppen und in so eine Äpplerkneipe, wo mir der Äppler aber nicht schmeckte, tanzte im Depot und fand auch den Äppler dort leckerer, hielt mich aber trotzdem lieber an Weißwein, habe das I-Pad wieder nicht gewonnen, habe noch nie soviel Sauerkraut in drei Tagen gegessen wie dort, wunderte mich, dass es Weißwürste gab, riet mit einem Schweizer Kollegen, was Schäufelchen und Leitern sein könnten, verteilte Visitenkarten und sammelte welche ein und machte im Übrigen und glücklicherweise schon am Donnerstag ein paar Fotos. Denn am Freitag kurz vor Mittag nieselte es schon mal leicht. Am Nachmittag aber, als alle nach Hause fuhren und ich, nun auf eigene Kosten, ins Hostel umzog, regnete es.

Trotzdem wackelte ich los. Bankenviertel. Römer. Und zurück. Unbedarft und unwissend wie ich bin, hatte ich ein Hostel in der Moselstraße gewählt, Bahnhofsviertel, Rotlicht. Ach Herrje, das fand ich schon am Tage nicht erquicklich. Überhaupt, hier in Leipzig soll es ja genug Nachtquartiere für Obdachlose geben. Hier liegen keine auf den Straßen. In Frankfurt stolperte ich jeden Morgen auf dem Weg zur Messe über ein paar. Und äh, ja, als ich ein menschliches Wrack irgendwo auf dem Gehweg hocken und komisches Zeug in der Pfeife rauchen sah, wäre ich am liebsten hingerannt und hätte es angeschrien, was es da für einen Scheiß mache und dass es das sein lassen solle. Also ja, in Leipzig geht es doch sehr manierlich zu. Oder ist verbannt. Aus der Innenstadt, vom Bahnhof weg, irgendwohin nach, wahrscheinlich in den Osten der Stadt. Die Bordelle sowieso. Und nun ich, mittendrin.

Da sitze ich abends lieber im Hostel. Ich bin gern da, denn im Gegensatz zu Hotels und Einzelzimmern hat man da immer Gelegenheit, Leute zu treffen. Nur leider, heutzutage, starren die Leute lieber in ihre Smartphones oder Laptops. Da muss man schon etwas aufdringlich sein.

Am Samstag Vormittag regnet es zwar nicht, aber der Himmel bleibt grau, das Licht ist miserabel und ich habe eh die falsche Kamera mit. Aber eigentlich finde ich an Frankfurt den Gegensatz zwischen den Glastürmen und den Altbauten am interessantesten. So stört es nicht weiter, dass sämtliche Panoramaaufnahmen misslingen. Ich schlendere am Main entlang, lasse mich treiben. In einer Buchhandlung habe ich in einem Reiseführer von engen Gassen in Sachsenhausen gelesen, ich finde sie nicht. Der jüdische Friedhof ist geschlossen, auf Museen habe ich keine Lust, am besten, ich hau mich nochmal aufs Ohr und ruhe mich aus.

Und dann lädt mich der beste Frankfurtführer am Bahnhof ins Auto und zeigt mir alles, was ich noch nicht gesehen habe. Geschichte und Geschichten. Ich weiß so wenig über die Stadt. Der Westen stand ja irgendwie nicht auf dem Lehrplan der Schulen in der DDR, so dass ich eigentlich nichts über die Stadt am Main weiß. Nichts. Natürlich weiß Herr Ärmel auch, wo die Gässchen sind und nachdem ich mich bei ihm gründlich über die Grüne Soße informiert habe, traue ich mich nun auch, die zu essen. Außerdem, ja, der Apfelwein schmeckt hier auch.

Wir traben weiter durchs nächtliche Frankfurt, wieder auf die andere Mainseite, ich lausche, staune und gucke. Und lande in einem Einkaufszentrum auf der Zeil, dass ich ohne die ortskundige Führung eines Kenners nie betreten hätte. Römer hin, Alt-Sachsenhausen her, MyZeil , so heißt das 6-stöckige Konstruktion des römischen Architekten Massimiliano Fuksas ist mit Sicherheit das überraschendste und mich am meisten beeindruckende Gebäude der Stadt. Aber das schönste an diesem Nachmittag und Abend ist sowieso, Herrn Ärmel zu treffen und ihm zu lauschen.

Sie wissen ja, drauf klicken macht die Fotos groß

10 Kommentare leave one →
  1. September 15, 2014 5:14 pm

    Geschichten und Erzählungen sind nur si gut wie die Fragen die sie anregen oder dazu gestellt werden.
    Insofern geht mein herzlicher Dank an dich und dein Interesse für diese verkannte Stadt.
    In Leipsch gehts dann annerserum 😉
    Nachmittäglicherstäpplerpurgrüsse aus der Stadt mit den Bembeln

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  2. September 15, 2014 10:06 pm

    FRA kenne ich nur als Flughafen. In der Stadt war ich irgendwie mal kurz, Äppelwoi in Sachsenhausen, in den 90ern, als uns der Westen nahe gebracht werden sollte. Aber mehr als teuer, bestsituiert, Hochhäuser und Bankenviertel bringe ich irgendwie nicht in Verbindung mit der Stadt. Da du jemanden da kennst, finde ich vielleicht auch mal jemanden da, wenn mich meine Wege dahin führen sollten …

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  3. September 16, 2014 11:35 pm

    Da haben wir uns aber um Haaresbreite verfehlt, Inch. Saß am späten Freitag Nachmittag auch im Nieselregen am Frankfurter Hauptbahnhof. 2 Bier haben mich über die Wartezeit getröstet.

    Aber bei den vielen Bahnhöfen die wir beide immer durchkreuzen ist es schon rein statistisch vorhersehbar, daß wir eines Tages am Ticketautomaten nebeneinander stehen 🙂

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    • September 17, 2014 6:51 am

      Na hoffentlich erkennen wir uns dann auch! DAs mit dem Freitag Nachmittag ist ärgerlich. Zumal ich kurz dort war, um mir eine Rückreiseverbindung für den Sonntag sagen zu lassen

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  4. September 17, 2014 11:50 am

    Ja der Herr Ärmel, der kann viel und interessant erzählen, war sicher sehr kurzweilig. Deine Frankfurtfotos finde ich übrigens Spitze, die Skyline kenne ich aus 100 anderen Bildern, diese alt/neu Mischung ist Dir hervorragend gelungen.

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    • September 19, 2014 9:25 am

      Ach ja, danke, wegen der Fotos. Freut mich, wenn sie gefallen. Und ja der Herr Ärmel ist eine angenehme Begleitung für einen kurzweiligen Nachmittag/Abend. Aber das weißt Du ja selbst. Ich war nur froh, dass er noch Worte übrig hatte nach der Unfugveranstaltung im Regenwald. 😀

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  5. September 17, 2014 3:31 pm

    schön ist es, einmal das klischee revidiert zu bekommen! feine fotos und ein super bericht 🙂

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