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Elvis, zwei Busse und eine (fast) sterbende Frau (Sonntag, 21.07.2013)

August 22, 2013

Grants, 9:00Uhr.

Seit einer halben Stunde sitzen wir an der East Santa Fe Ave. Nr . 1150, wir hier die Route 66 heißt, an einem kleinen, über einem alten Wagen hängendem  Greyhound- Schild und warten auf den Bus.  Der hätte vor eine viertel Stunde losfahren sollen. Natürlich hat er Verspätung, das war uns schon vorher klar und wir haben nur über die Zeit spekuliert. 1 Stunde? Drei?

Trotzdem waren wir schon halb hier. Schließlich, man weiß ja nie, am Ende kommt der heute pünktlich? Weil Sonntag ist? Die Cousine kraucht irgendwo hinter dem Motel „Histouric Route 66“ rum und zählt schon wieder Waggons. Nachdem sie 10 Minuten vorher schon in irgendwelchem Gebüsch rumgekrochen ist, weil sie die Toilette des Motels nicht benutzen darf, habe ich sie gewarnt, dass ich, wenn der Bus kommt, einsteige und mitfahre. Ihr Gepäck lasse ich hier. Ich habe das Telefon, die Fahrkarten, den Plan. Sie grinst mich an und sagt: Ja natürlich. Mach das! Ich glaube, sie geht davon aus, dass ich eh auf sie warte.

Es ist schon wieder viel zu heiß, erste Biker fahren Richtung Festzelt,  ich kuschle mich auf einer Bank am Motel in den Schatten und bin wild entschlossen, nicht zu warten. Keine Ahnung, ob ich es getan hätte. Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich hätte ich sinnlos den Namen der Cousine in die Prärie geschrien, den Busfahrer versucht aufzuhalten und hätte ihn am Ende losfahren lassen. Denn die Cousine hat im ganzen Urlaub noch nie reagiert, wenn ich, irgendwo wartend, gerufen habe. Warum also hier und heute? Vielleicht wäre sie dann doch gerade rechtzeitig aufgetaucht, hätte mich ganz tiefenentspannt angegrinst, Ja M‘am gebrüllt und sich ein bisschen darüber amüsiert, dass ich so hysterisch bin.

Aber daran denke ich nicht, während ich das Gepäck bewache und den vorbeifahrenden Bikern hinterher schaue. Ich versuche, irgendjemanden von der Busgesellschaft ans Telefon zu bekommen, um zu erfahren, wie viel Verspätung unser Greyhound hat. Aber das ist wie in Deutschland. Automaten fordern mich auf, Zahlen zu drücken, ich lande in Kalifornien und gebe auf.  Die Cousine ist wieder da und versucht sich ebenfalls im Zahlen drücken. Mit demselben Erfolg.

Der Bus kommt genau eine Stunde zu spät.

Der Fahrer öffnet die Tür, nur um uns zu bekunden No seats.

Wie jetzt?

Um ehrlich zu sein, kann ich den Sinn seiner Worte erst gar nicht erfassen. Mein Gehirns sträubt sich sozusagen dagegen.

No seats! I’m overloaded

Wir starren ihn entgeistert an.

Und was sollen wir jetzt tun?

Nehmt den nächsten Bus!

Und wann kommt der?

In 12 Stunden!

Sagt‘s, schließt die Tür und fährt Richtung Interstate davon.

Ca 5 Minuten brauchen wir, unseren Schock zu überwinden. Dann schicke ich David ein SMS, dass wir erst morgen kommen, stellen unsere Sachen im Motel unter und wackeln ins El Cafecito.

Gestern waren wir da zu spät, um noch Frühstück zu bekommen, hatten stattdessen Ribeye Steak und die Mexikanische Art von Bohnen. Heute holen wir das Frühstück nach.

Dann hauen wir uns in den Park, sehen den Bikern und den anderen Volksfestgästen zu, zahlen unglaublich viel Geld für Säfte, überlegen, ob wir uns dieses Schlammcatchen ansehen, entscheiden uns dagegen, suchen eine Post, finden sie nicht, drücken uns stattdessen die Nasen an einem Waffenladen platt, staunen, dass man in Amiland nicht mal mehr das Auto verlassen muss, wenn man Kohle holt, staunen über die vielen Schulbusse, laufen die Highstreet einmal hoch und runter, finden, dass hier schon viel zu viele Kinder viel zu fett ist, laufen einmal durch den Park (dauert 5 min) und dann zurück zum Busstop.

Weil wir noch viel zu viel Zeit haben, kehren wir kurz vorm Ziel in einen Burgerladen ein. Ich brauche jetzt Cola und die Cousine Wasser. Da spielt sich vor mir ein zum Leben erwecktes Klischee ab.

Einem bis vor den Eingang vorgefahrenen Wagen entsteigt eine sehr dicke Frau, watschelt herein und nimmt ihr vorbestelltes Dinner in Empfang. 6 Hamburger, 6 Cola (jeweils die 1,5l Becher), watschelt wieder zum Auto, verstaut das Abendessen für die Familie, und fährt davon.

Ich bin irgendwo zwischen fasziniert und angewidert.

Am Motel sitzt ein einzelner Herr mit zwei riesigen Koffern. Als er uns sieht, fragt er, ob wir tauschen.

Hä? Er hat wirklich tauschen gesagt. Und er will unsere Tickets gegen Dollar tauschen. Hat der zu viel Sonne abgekriegt? Als wir verneinen und erklären, dass wir eigentlich schon heute früh mit dem Bus mit wollten und sozusagen schon 12 Stunden warten und  ganz sicher nicht hierbleiben wollen, ist er eingeschnappt und widmet sich wieder der Betrachtung irgendwelcher religiösen Videos auf seinem Smartphone, ohne Kopfhörer. Später erklärt er jemandem, dass er in Grants ist. Sehr seltsam das.

Dann kommt der Bus und der Driver erklärt, dass er nur noch einen Platz hat. Den kriegt der komische Typ ohne Fahrkarte.

Schnappatmung meinerseits.

Was bitte soll das heißen? Keine freien Plätze? Wir sitzen hier seit 12 Stunden, weil DER Bus auch schon overloaded war!!!!

Ja, da kann er nichts dafür, erklärt er, er sei nur der Driver. An solchen kleinen Busstops so ohne Station sei das eben so, weil wir nicht im Buchungssystem erfasst seien.

Ich dreh gleich durch! Ich habe die Tickets in Flagstaff gekauft und genau gesehen, wie der Operator uns ins System eingegeben hat!!!!

Achselzucken. Er sei nur der Driver.

UND WAS SOLLEN WIR JETZT TUN?????

Den Operator anrufen .Die Nummer steht auf den Tickets.

Ich ticke aus. ICH HABE VERSUCHT ANZURUFEN. DA SOLL ICH STÄNDIG NUMMERN DRÜCKEN.

Er schlägt vor, ein Taxi zu rufen.

Schnappatmung.

WER SOLL DAS DENN BITTE BEZAHLEN?

Das soll ich den Operator fragen.

Er ist jetzt richtig sauer, weil wir von ihm Dinge verlangen, die er uns nicht geben kann. Das verstehe ich, das sage ich ihm auch. Er soll mir nur sagen, was ich tun muss, um hier wegzukommen und ich erkläre:  ICH BIN AUSLÄNDER! KEIN KANADIER.  KEIN AUSTRALIER.  A_U_S_L_Ä_N_D_E_R!!! DEUTSCHE! ICH VERSTEHE NUR DIE HÄLFTE UND ICH KOMME MIT DIESEM SCHEIßNUMMERNSYSTEM NICHT BIS ZUM OPERATOR DURCH!!!

Aber er hat keinen Platz. Er ist nur der Driver. Zuckt mit den Achseln und schließt die Bustür.

Wir sitzen fassungslos auf der Bank vor dem Motel. Da steigt er plötzlich wieder aus, entschuldigt sich und sagt, dass er doch zwei Plätze hat.

Nicht wundern! Nur schnell rein!

Er entschuldigt sich immer wieder, dass er den freien Platz nicht gesehen hat, da müsse jemand ausgestiegen sein, die anderen Passagiere hätten es ihm  erst gesagt.

NICHT AUFREGEN.

Denn der zweite Platz, der ist vorn in der 1. Reihe. Die erste Reihe, die ist immer reserviert für das Gepäck des Drivers. In dieser 1. Reihe sitzt so eine Art Busbegleiter und neben ihm der Platz ist leer. Das war er schon, als der Bus hielt und der Driver verkündete, er hätte nur noch einen freien Platz. Auf diesem einen freien Platz irgendwo in der Mitte des Busses sitzt der komisch religiöse Typ ohne Fahrkarte. Und ich, ich sitze in der 3. Reihe neben einer sehr dicken Frau aus Kamerun.

NICHT AUFREGEN.

Unterwegs erleidet dann eine Frau einen Zuckerschock. Es sieht ja so aus, als stürbe sie gleich. Der Bus fährt rechts ran, man will einen Notarzt rufen, aber dann geht’s doch weiter. An der Station dann, wo wir alle den Bus verlassen müssen, weil der sauber gemacht wird, wird sie in einen Krankenwagen gehievt. Wenig später sitzt sie wieder in der Wartehalle. Wir freuen uns, dass sie nicht wieder in unseren Bus einsteigt. Sollen sich andere mit dem Problem rumärgern. Es ist Nacht, wir sind müde, wir wollen nach Texas.

Die letzten Bilder von Grants. Und Elvis Room, der war in unserem Motel Da hat Schmalzlocke seine Flitterwochen verbracht. Haben uns unsere Bikerfreunde gestern erzählt. Hab ich dann schnell noch heute Morgen fotografiert. Mit dem Handy. Ich meine, wenn man schon mal an so einem historischen Ort ist.

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15 Kommentare leave one →
  1. August 23, 2013 9:53 am

    Du meine Güte!!! Wenn mir jwd zwei Busfahrer binnen zwölf Stunden erklärt hätten, daß er trotz Vorbestellung keine Plätze mehr frei hat, da würde ich auch Schnappatmung bekommen – aber so was von…

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  2. Frau Doktor permalink
    August 23, 2013 1:25 pm

    Oh ich bewundere schon längere Zeit Euren Mut und Eure Ruhe sich in fremden Landen zu bewegen und die täglichen Überraschungen anzunehmen oder ihnen zu trotzen. Große Anerkennung 🙂

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    • August 24, 2013 10:48 pm

      Nuja, zu zweit geht das schon. Und wir hatten ja Urlaub und in Grants noch zwei Wochen Zeit, um unseren Flieger in New York zu kriegen 😉

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  3. August 23, 2013 5:12 pm

    Ab jetzt weisst du, was der Spruch in alten Ammi-Filmen bedeutet, wenn jemand gefragt wird, was er in „diesem gottverlassenen Kaff“ macht. Die Antwort lautet nämlich meistens: Ich bin hier durchgekommen und hängengeblieben“. Durch dich wissen wir, dass diese Leute nach Monaten irgendwann aufgegeben hatten wegzukommen, weil jedesmal der Bus voll war… 🙂
    Klasse Bericht, da könnte ich jetzt gleich weiter dazu schreiben…

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    • August 23, 2013 5:27 pm

      Das ist eine sehr nachvollziehbare Erklärung, Herr Ärmel. 😆 Danke dafür!

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    • August 24, 2013 10:47 pm

      Das ist eine sehr schlüssige Erklärung, Herr Ärmel. Ich bedanke mich und werde immer daran denken, wenn ich Film gucke 😀

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  4. August 23, 2013 9:31 pm

    Hihi, Elvis und Priscilla haben damals ihre Hochzeitsreise sicher auch mit dem Greyhound gemacht, und weil der Bus immer voll war mussten sie im Sands übernachten. Oder Elvis Management hat das Sands von Grants mit dem in Las Vegas verwechselt. Oder in den USA hat jedes Hotel einen Elvis Room, damit man Touristen etwas zu erzählen hat *gg*.

    Ich frage mich gerade, wie man 1.5 Liter Cola trinken kann. Dafür bräuchte ich 0.7 Liter Jack Daniels oder Rum, sonst geht das Zeug nicht runter.

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    • August 24, 2013 10:45 pm

      Aber in Vegas war er doch nicht in den Flitterwochen! Der war in Grants! Dass er mit dem Bus gekommen ist, bezweifle ich. Wahrscheinlich hat er/ oder sie das Auto zu Schrott gefahren und der Autoverleiher wollte nix rausrücken. Da mussten sie bleiben, bis Elvis ne Neu-Mexikanische driver licence hatte. So gesehen, hat der sich weiter entwickelt, der Autoverleiher. Jetzt will er immerhin schon eine Amerikanische

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  5. August 24, 2013 12:51 am

    auweia, da kriegt man ja ´ne gänsehaut beim lesen! wie gut, daß ihr doch noch weitergekommen seid, stell dir vor, du wärst jetzt immer noch da und hängengeblieben, wie herr ärmel so schön erklärt hat…
    über die cola-mengen und andere getränke staune ich bei uns auch immer. bestellst du ein bier, bekommst du eine flasche mit mindestens 1 liter, cola und anderes genauso.

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    • August 24, 2013 11:07 pm

      Hallo Antje, Deine Kommentare waren aus unerfindlichen Gründen im Spam gelandet. Ist es ok, wenn ich nur den einen freischalte?

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      • August 25, 2013 1:17 am

        hallo inch, also ich weiß nicht, woran es liegt, auch auf einem anderen wp-blog hatte ich probleme. und nun sind alle kommentare da – seltsam…

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  6. August 25, 2013 11:52 am

    Ich bin wieder mal sprach- …also… schreiblos. Du erlebst in 12 Stunden jeweils mehr als ich in meinem bisherigen Leben! Klingt aber irgendwie schon anstrengend. 😉

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  7. Dezember 8, 2013 11:08 am

    Cooler Bericht!
    Ich bin immer wieder fasziniert zu lesen wie andere Leute reisen,…für mich wäre das ja gar nix, aber vermutlich bin ich zu alt für sowas
    Liebe Grüße von der Elvis Fanin 😉

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    • Dezember 8, 2013 12:24 pm

      Nuja, über meinen 50. Geburtstag, den ich im Alter von 51 feierte, berichtete ich auch hier auf dem Blog. 😉 Was also ist zu alt? Ich denke, es gibt genug 20jährige, die so nicht reisen würden. Ist also keine Frage des Alters, sondern des Geschmacks. 😀

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      • Dezember 8, 2013 12:25 pm

        Da hast du wahrscheinlich recht.
        Ich feiere meinen 50er nächstes Jahr gar nicht, ich verreise mit dem besten aller Ehemänner.
        Und jetzt muss ich den 50er bericht auch noch suchen gehen ggg.

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