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Betteln statt Umzug

Februar 22, 2012

Aschermittwoch

Am heutigen Tag, zogen, als ich noch Kind war, und dass ist so an die 40 Jahre her, Gruppen verkleideter Kinder durch die Straßen und bettelten an den Haustüren. Ich hatte das Glück, vom 5. bis 13. Lebensjahr, also die Zeit meiner bewussten Kindheit, auf einem kleinen Dorf zu leben. Und auf den Dörfern, das ist ja auch heute noch so, halten sich Bräuche länger als in Städten, werden ausgiebiger gelebt und gehören eher zum Alltag als in den damals schon anonymeren Großstädten.

Bevor es aber zum Betteln ging, liefen wir alle am Morgen zum Bäcker, um die obligatorischen Pfannkuchen zu kaufen. An diesem Tag hatte der Bäcker einige mit Senf statt mit Marmelade gefüllt. Und die lagen unerkannt unter den „normalen“ zum Verkauf. Da gab es kein „welche ohne Senf“ oder „welche mit Senf“.  Es gab einfach nur Pfannkuchen. Ob das Glück einem hold war, erfuhr man erst beim Essen. Es wurden auch nicht mehr gekauft als Esser da waren, so dass, erwischte man so einen Ungeniessbaren, noch ein Ersatzpfannkuchen da war. Nein. 6 Familenmitglieder. 6 Pfannkuchen. Das Pech, den falschen erwischt zu haben, gehörte dazu, genau wie die Schadenfreude der anderen. Und das Glücksempfinden, wenn man nach vorsichtigem Anbeißen feststellte: MARMELADE!!! Wir hätten das Glück wohl nicht so tief empfunden, wenn das Pech durch „einen 2. Versuch“ in Form eines Ersatzpfannkuchens verwässert worden wäre.

Und dann, am Nachmittag, das Betteln.

Die Mütter hatten sich in den vergangenen Tagen also Gedanken zum Kostüm gemacht, fleißig genäht und stopften die lieben Kleinen dann am Aschermittwoch in ihre Kreationen.  Wir schlossen uns zu Banden zusammen, so 3-5 Kinder, und zogen ab dem späten Nachmittag von Tür zu Tür, bewaffnet mit Beuteln für die Gaben … und Asche. Betraten wir einen Hof, sangen wir unsere Lied: „Ich bin dr gleene Geenich, gäbt mr nich zu wenich, last mich nich zu lange stehn, ich muss noch büßschn weider gehn.“

Dann öffnete sich die Tür und wir erhielten Süßigkeiten oder Pfannkuchen. Zufrieden zogen wir zum nächsten Hof.

Öffnete sich eine Tür nicht, stopften wir mit Spucke vermengte Asche in die Türschlösser. Und zwar ordentlich fest. Manchmal kam der Hausherr dann doch raus und wir flüchteten schreiend vor dem einen Stock schwingenden Bösewicht vom Hof.

Trafen wir unterwegs andere Banden, prügelten wir uns mit denen um deren und unsere Beute. Das gehörte dazu wie das Betteln. Manche kamen am Abend des Aschermittwochs deswegen ohne Süßigkeiten nach Hause, manche mit ganz vielen. Die, die leer ausgingen, erhielten auch von den Eltern keine Trostgaben. Verlieren gehörte damals zum Kindsein genauso wie Gewinnen. Und jeder musst damit leben können.

Die Kostüme aber, die waren am Abend alle ramponiert. Weswegen auch kein kleines Geschwister die abgelegten Sachen eines großen Geschwisters aus dem Vorjahr tragen musste und die Mütter jedes Jahr für jedes Kind neu nähen durften. Ich meine, in unserem Dorf gab es Familien mit 7 bis 14 Kindern! Da hatte manche Mutter echt zu tun.

Aus den Städten verschwand der Brauch zuerst, schon noch zu DDR-Zeiten.

In den Dörfern hielt er sich länger, wird allerdings zunehmend von Halloween verdängt. Vor 3 oder 4 Jahren fragte ich einen Kollegen an der Uni, der zufällig aus dem Nachbardorf stammt, danach. Er erzählte, dass erst ein paar wenige Kinder auch an Halloween kamen. Dann wurden es immer mehr. 2, 3 Jahre zogen die Kinder zweimal im Jahr los. Inzwischen aber werden es immer weniger, die am Aschermittwoch von Hof zu Hof gehen. Zu Halloween allerdings seien sie alle unterwegs. Und da balgt sich natürlich kein Kind um die Beute.

5 Kommentare leave one →
  1. Februar 22, 2012 9:30 am

    Von diesem Brauch, an Aschermittwoch kostümiert betteln zu gehen, habe ich bis jetzt noch gar nichts gewusst!

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  2. Februar 22, 2012 10:23 am

    Bei uns im Dörfchen im Leipziger Land gibt es den Brauch noch. Die Kinder laufen am Faschings-Dienstag von Haus zu Haus und singen das typische Fitsche Griene Lied:

    Fitsche Fitsche Griene, mer wolln e was verdiene.
    Laßt uns nicht so lange stehn, mor wolln e Häuschen weiter gehn.
    Ich bin der kleine König, gebt mer nicht zu wenig.
    Ist der Kuchen nicht geraten,
    gebt mer n Stückchen Schweinebraten.

    In der Gemeinde Kulkwitz werden die Kinder heute unterwegs sein. Das nennt man „Asche auskehren“.
    Man ist schon ganz schön hartnäckig, hier auf dem Lande. 😀

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  3. Februar 22, 2012 4:28 pm

    Das globale Halloween scheint viel verlockender für viele, aber – ich bin mir fast sicher – bald werden die alten Bräuche wieder raus gekramt!

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    • stadtkatze permalink
      Februar 24, 2012 9:44 am

      Hoffentlich nicht aus der falschen Ecke…
      Um wieder vom „Mainstream“ wahrgenommen zu werden, müssten die traditionellen Bräuche so viel Medienaufmerksamkeit erhalten wie Halloween etc. Aber wo soll die herkommen, wenn nicht v.a. durch die Werbung? Und wie läuft das in der Wirtschaft: Es werden global taugliche Produkte entwickelt, für lokale Besonderheiten ist da kein Platz. Was sich nicht vermarkten lässt, hat so gut wie keine Chance.

      Ich lasse mich übrigens gerne überraschen, falls die Entwicklung irgendwann weggeht von den oben beschriebenen Mechanismen. Nur daran zu glauben, fällt mir schwer…

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      • Februar 24, 2012 11:17 am

        Ich glaube nicht, dass die Medienmechanismen sich ändern werden, aber zusätzlich zum Trend der Globalisierung, der ja grundsätzlich nicht schlecht ist, gibt es ja momentan durchaus auch den Trend zur Rückbesinnung auf alte Werte und Bräuche…

        Irgendwann werden in den Grundschulen diese alten Bräuche wieder mitgeteilt werden und dann gehen die Kinder eben an Halloween, zu Aschermittwoch, zu Nikolaus und Co los.

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