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Rund um die Braunkohle…, Teil II

Mai 21, 2013

Das nächste Mal war der Pfingstmontag.

Wie so oft, änderte ich kurzfristig meine Pläne.

Eigentlich wollte ich bei schönem Wetter nämlich nach Grimma und dann auf dem Mulderadweg nach Wurzen, vielleicht auch weiter bis Eilenburg und dann wieder nach Hause.

Als ich aber am Sonntag kurz überlegt hatte, zum Bockwitzer See zu fahren und das auf später verschoben hatte, war schon am Abend klar: Ich muss da hin. Unbedingt. Sofort.

In Bockwitz habe ich nämlich mal ein halbes Jahr gewohnt. Am Ende  meiner Ausbildung. Zusammen mit zwei weiteren zukünftigen Heroinnen der sozialistischen Landwirtschaft bewohnte ich eine Wohnung auf einem Bauernhof im Dorf. Wir sollten uns in diesem letzten halben Jahr mit den unterschiedlichsten Methoden der Melktechnik vertraut machen. Melkkarussell, feste Fischgräte, mobile Fischgräte usw. usw. Zu DDR-Zeiten habe ich, wenn ich in Lohn und Brot stand, nie mehr so viel verdient wie dort, weil wir nämlich, wenn wir in einer Anlage außerhalb des Dorfes waren,  mit dem Bus abgeholt wurden und unsere Arbeitszeit berechnet wurde ab Abholzeit bis Ankunftszeit. Versteuert wurden die so täglich anfallenden 2-3 Überstunden aber nicht. Und die Nachtzuschläge auch nicht. Mit Freuden übernahmen wir die Wochenendschicht manches Melkers. Das gab fetten Lohn.

Eine Hausarbeit musste ich in der Zeit auch schreiben. Ich beschrieb, was der Chef längst wusste, nämlich dass in der großen 2000er Milchviehanlage in Kitscher der Liter Milch doppelt so teuer produziert als verkauft wurde. Ein wirtschaftlicher Wahnsinn. Ganz abgesehen von dem ökologischen Wahnsinn und der Form von Tierquälerei, die dort täglich stattfand. Der Chef fragte mich, ob ich die Arbeit wirklich so abgeben wolle. Wenn ja, fände er das gut, wolle sich damit aber nicht in Verbindung bringen lassen. Er, der mir alle Daten genannt hatte, wollte keinesfalls als Quelle benannt werden.

Natürlich haute man mir die Hausarbeit um die Ohren. Das heißt, erst mal kassierte ich ein „5“ wegen meiner absolut fehlerhaften und irrsinnigen Berechnungen. Ich aber, jung und dumm, blieb stur und rechnete vor, dass ich richtig gerechnet hatte. Da haute man mir das Ding um die Ohren. Ich stellte mich dumm, beharrte auf meiner Hausarbeit, wunderte mich, wie so was, rein ökonomisch betrachtet, zu verantworten sei und wir einigten uns schließlich darauf, dass ich keine neue Arbeit vorzulegen bräuchte. Die abgegebene blieb ohne Wertung. Ob sie in jemandes Schublade landete oder im Reißwolf, entzieht sich meiner Kenntnis.

Um zum Bockwitzer See zu gelangen, wählte ich die Route vorbei am Markkleeberger und dem Störmthaler. Die sind  mir ziemlich vertraut, bin ich da doch öfter. Durch letzteren joggte ich manches mal, wenn das Kleine Kind ritt, befand sich ihr Reitstall doch in Störmthal und ich musste mir dort Nachmittage um die Ohren  hauen.

Und doch, es gibt immer wieder etwas Neues in einer sich ständig verändernden Landschaft bzw deren Kultivierung zu beobachten. So ist der „Durchstich“ zwischen den beiden Seen fertig, es gibt eine Brücke, die hochgezogen werden kann, und wenn man über diese drüber geht, kommt man jetzt zu den alten Tagebaubaggern und Kränen. Weil der Störmthaler höher ist als der Markkleeberger gibt es eine Schleuße. Viel zu gucken also.

Aber ich lasse alles rechts liegen und kämpfe gegen den Wind. Tiefe Wolken hatten schon in der Stadt nichts Gutes ahnen lassen, jetzt regnet es zwar nicht, aber der Wind ist höllisch und kommt natürlich von vorn.

Am Ende des zweiten Gewässers lässt mich ein Blick auf die Karte etwas den Mut verlieren. Gut, denke ich, ich fahre 4 Stunden Richtung Ziel und drehe dann um. Egal, wo ich bin.

Um mich nicht ständig zu verfahren, folge ich jetzt einfach dem 7-Seen-Wanderweg.

22 alte Tagebaulöcher gibt es südlich der Stadt. An sieben führt der Wanderweg vorbei.

In Mölbis lässt mich die Markierung wieder im Stich, ich frage mich durch und radle durch Trages und Thierbach, Orte, von denen ich noch nie gehört habe.

Und dann bin ich in Eula. Eula? Als ich den Namen auf der Karte las, war ich verdutzt. War ich da nicht vor 25 Jahren, als das Dorf abgerissen und der Braunkohle weichen sollte? Ich erinnere mich genau, habe damals sogar Fotos gemacht. (drauf klicken macht die Bilder groß)

An manchen Häusern hingen Schilder, dass diese noch bewohnt seien. Aus anderen hatten Plünderer längst geholt, was noch irgendwie brauchbar schien. Und jetzt stehe ich in diesem Ort. Unter Hochspannungsleitungen. Ich frage einen alten Mann, ob meine Erinnerungen mir einen Streich spielen. Aber nein, der untere Teil des Dorfes ist weg. Auch die Kneipe. Und dann kam ja die Wende und es war Schluss mit der Braunkohle. Da haben Sie aber Glück gehabt, sage ich. Doch der alte Mann sieht mich aus traurigen Augen an. Glück sieht anders aus.

Das Gebiet hinter dem Dorf ist eine Sumpflandschaft. Frösche quaken um die Wette. Irgendwo muss hier ein See sein, da wo früher Häuser standen. Bauernhöfe. Aber durch den dichten Laubwald ist nichts zu erkennen.

Und dann bin ich da. Am Bockwitzer See. Ein Kiesweg führt hoch oben um den See, von dem kaum etwas zu sehen ist. Hier hat noch keiner Hand angelegt. Fauna-Flora-Habitat nennt sich das Naturschutzgebiet jetzt und ist eins der größten in Sachsen. 180 Vogel-, 12 Amphibien- und 4 Reptilienarten sind jetzt hier zu Hause. Überall warnen die üblichen Schilder vor der bestehenden Lebensgefahr beim Betreten, zusätzlich schützt ein Elektrozaun all zu Neugierige vor unüberlegtem Handeln. Es besteht Erosionsgefahr, an Steigungen (bis 12%) sollen Betonplatten Wanderern und Radfahrern sicheren Halt geben. Ich radle um den See und komme zu der einzigen Stelle, an der man fast bis hinunter ans Ufer gelangt. Da stehe ich und starre auf das Wasser. Da war ein Dorf. Da lebten Menschen. Bauern. Es gab auch einen kleinen Kuhstall im Dorf, in dem ich mal für 3 Wochen oder so arbeitete. Ich erinnere mich an eine Melkerin, die, im 8. Monat schwanger, auf dem Feldweg zum Frauenarzt in Borna radelte. Abends steckte sie ein Gurkenglas verkehrt rum auf den Zaun. Wenn wir morgens 2:00 Uhr zum Stall trotteten und das Glas sahen, wussten wir, dass ihr Mann verschlafen hatte und trommelten ihn aus den Federn. Was mag aus ihnen geworden sein? Wohin hat es sie verschlagen? In welchen Plattenbau wurden sie umgesiedelt? Und all die anderen? Wie ist das, wenn es das Stück Heimat nicht mehr gibt? Gar nicht mehr? Das muss schlimmer sein, als der Verlust des Staates, in dem man groß geworden ist. Weil es ja immerhin das Land noch gibt. Die Städte und Dörfer. Aber wenn das alles auf dem Grund eines Sees liegt? Wenn es keinen Ort gibt, zu dem man zurück kehren kann? Selbst wenn man das vielleicht nie tun würde, ist es doch beruhigend zu wissen, dass man zurück kehren könnte. Wenn man wöllte. Die Bockwitzer können nicht. Ein See kann kein Ersatz sein.

Ich radle weiter, stehe am Restloch Südkippe. Was für ein Name. Dann suche ich einen Punkt, den mir GPS anzeigt. Da ist ein stilisierter Baum und daran steht Bockwitz. Die letzten Meter laufe ich mit dem Smartphone in der Hand und genau da, wo der Baum ist, fotografiere ich mich. Ich werfe einen letzten Blick auf den See, erschrecke mich vor einen neben mir aufflatternden Rebhühnern und radle zurück.

Der Wind kommt von vorn. Ich fasse es nicht. Trotzdem habe ich das Gefühl, schneller zu sein. In Thierbach sehe ich einem Vater und seiner Tochter beim Fische füttern zu. Jetzt lugt sogar mal die Sonne raus. Zwischen Störmthaler und Markkleeberger See laufe ich über die Brücke, trinke irgendwo einen kalten Kaffee.

Die tief hängenden Wolken haben sich gnädig gezeigt, es blieb den ganzen Tag trocken. In Leipzig wundere ich mich, dass noch so viele WGT-Besucher da sind und würde die gern mal bei der An- oder Abreise sehen. Wie transportiert man Reifröcke? Vielleicht frage ich da mal nächstes Jahr jemanden.

Heute wieder drauf klicken zum groß Gucken

Bockwitz

Magdeborn

5 Kommentare leave one →
  1. Mai 22, 2013 9:27 am

    Ein beeindruckende Radtour. Den Heimatort verlieren? Stelle ich mir irgendwie merkwürdig vor.
    Hier wurde die Piva gestaut. Dabei wirden mehrere Dörfer geflutet. Jetzt kommen Männer hierher, die da mal wohnten, und treffen sich zum erzählen. Hin und wieder, sagt der eine, weinen sie gemeinsam um das verlorene Dorf, in dem ihre Familien seit Generationen lebten

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    • Mai 22, 2013 6:54 pm

      Die Magdeborner, dass sind die, wo jetzt der Störmthaler See ist, machen wohl jährlich ein Treffen, habe ich gelesen. Ich nehme an, da wird auch der eine oder andere weinen. Übrigens: Abschied von Matjora von Elim Klimov, da geht es um ein Dorf in Sibirien, dass einem Staudamm weichen soll. Sehr sehenswerter Film

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  2. Mai 22, 2013 12:56 pm

    Liebe Inch, einen lesenswerten Bericht hast du geschrieben. Warst du doch (fast) in meiner alten Heimat. Ich habe mit Interesse alles aufgenommen, was du beschrieben hast oder an Bildern zeigst. (Mit der Braunkohle bin ich leider groß geworden.)
    Schmunzeln musste ich auch. Bei dir war es die Milchproduktion in der Hausarbeit, bei mir die Kosten und Preise von Werkzeugmaschinen in der Diplomarbeit. Ich durfte die auch verteidigen, allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit. 😀 Ach, lang ist es her.
    Den heimatlichen Wohnort zu verlieren, stelle ich mir richtig schlimm vor. Mir reicht einiges so schon.

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    • Mai 22, 2013 6:56 pm

      Ich habe ab Dich gedacht, als ich da radelte im Süden. Ich werde auch die anderen Seen noch aufsuchen, dazu aber vielleicht doch lieber bis Borna mit der S-Bahn fahren

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  3. Mai 22, 2013 8:59 pm

    Das muss ein ganz furchtbares Gefühl sein, die Heimat aufgeben zu müssen – wie ein riesiges Loch im Herzen…

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