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Zug fahren

November 18, 2011

Mein liebstes Reisemittel ist der Zug. Mit Buch, Kaffee und Essware bewaffnet lasse ich mich in den Sitz sinken und genieße die Fahrt. Ausgeruht komme ich, meistens jedenfalls, am Ziel an. Unterwegs sehe ich der vorbei fliegenden Landschaft zu oder den anderen Reisegästen. Ich vertiefe mich in einem Buch oder gebe mich meinen Träumen hin. Ich kann nichts tun, um die Fahrt zu beschleunigen oder zu verlangsamen. Das ist Entspannung pur.

Natürlich begibt man sich auch in eine Abhängigkeit und nicht immer verlaufen Zugfahrten so wie geplant, weder von mir noch vom Bahnunternehmen. Aber die meisten meiner Erinnerungen sind positiv besetzt und bei den anderen…, naja, da hat man später etwas zu erzählen. Und da wir dazu neigen, Vergangenes in eher positiven Licht zu sehen, geraten auch diese Katastrophen immer mehr zum  angenehmen Erlebnis.

Vielleicht sehen das Menschen, die schon als Kind eher im elterlichen Auto reisten und für die Zugfahrten zu einem besonderen Erlebnis wurden, anders. Für sie mag die eigene Mobilität ein unabdingbares Muss zu sein.

Ich dagegen gehöre zu denen, für die eine Autofahrt, zumindest bis ich 14 war, eher die Ausnahme bildete.

Wohin wir bis dahin auch fuhren, wir taten es im Zug.

Wenn wir an die Ostsee fuhren zum Beispiel. Unsere Eltern hatten schon Tage vorher Koffer und Fahrräder mit der Bahn verschickt (das ging damals noch), bevor wir dann selbst eines Nachts auf unsere reservierten Plätze gesetzt wurden und dem Jahresurlaub entgegen fuhren.

Nur einmal passierte es, dass wir vor unseren Rädern und Koffern da waren. Zelte und Schlafsäcke waren zum Glück schon da. Die hatten einige Väter und Onkels schon am Anfang der großen Sommerferien mit dem einzigen im Beitz der Familie befindlichen Auto „hoch“ gefahren und aufgebaut. In den folgenden 8 Wochen teilten sich dann Verwandte und Freunde in die Zelte und Schlafsäcke. Jede „Belegung“ durfte 3-4 Wochen bleiben.

Auch ins Ferienlager gelangten wir per Bahn. An diese Fahrten habe ich aber keine Erinnerungen.

Auch später, als ich es zu anstrengend fand, bis Rumänien zu trampen (bis Bulgarien hatte ich das die Jahre vorher noch getan), nahm ich den Zug. Oder wenn wir Ostern mit allen Kumpels in Prag einfielen, da nahmen wir natürlich auch den Zug. Die waren damals brechend voll. Ich erinnere an mich an eine Heimfahrt, als der Zug so voll war, dass im Gang nur jeder zweite irgendwie auf dem Boden sitzen konnte. Die Grenzbeamten stiegen über unsere Köpfe hinweg und waren noch schlechter gelaunt als eh schon üblich.

Auf einer Rückfahrt aus Rumänien erlebte ich mal, wie Reisende an der Ungarischen Grenze ihr Faltboot auspacken mussten. Der Zug war nur unwesentlich leerer als jener damals aus Prag und die Kontrolle des Bootssackes war reine Schikane.

Und auch als das Große Kind klein war, fuhren wir noch Zug. Damals wurden wir mit unserem Kinderwagen vom Schaffner der überfüllten Züge immer sofort in den Gepäckwagen dirigiert. Ich bin mir noch heute nicht sicher, ob ich dafür dankbar sein sollte, weil wir den Wagen wohl kaum in den überfüllten Zug gekriegt hätten, oder ob ich erbost sein soll ob der Diskriminierung.

Dann, als das Kleine Kind geboren war, die Welt uns plötzlich offen stand und Zugpreise ins unermessliche gestiegen waren, war ich natürlich froh, nicht auf die Bahn angewiesen zu sein. Allerdings war ich nach der Heimreise aus dem Ferien in Südfrankreich oder Italien immer sofort wieder urlaubsreif.

Es hat sich inzwischen einiges geändert. Fernzüge sind nicht mehr so voll. Zumindest die in Deutschland sehr komfortabel. Allerdings hatte ich auch gestern wieder den Wagon erwischt, an dessen Enden keine der Toiletten funktionierte.

Die Reisenden kommunizieren nicht mehr miteinander. Also ich meine, die die sich nicht kennen. Weil aber die Züge mittlerweile viel leiser geworden sin, kann man bequem und ohne große Anstrengung den Gesprächen der Mitreisenden folgen. Gestern z.B. saß im Nachbarabteil eine junge Frau, die ununterbrochen redete. 4 Stunden! Ununterbrochen! Von ihren drei Mitreisenden schafften es nur zwei, ab und an mal ein Hm von sich zu geben. Vom dritten habe ich nicht einen Mucks gehört. Ich hoffe, er hat trotzdem verstanden, was er auf dem Frankfurter Bahnhof zu tun hat, welches Gepäckstück er zu tragen hat, auf welchem Bahnsteig er zu sein hat, mit welcher Treppe er diesen in wie viel Minuten zu erreichen hat und wo er auf wen zu warten hat.

In der Sitzreihe hinter mir unterhalten sich zwei 18-jährige über neue Beziehungen im Sinne von besseren Perspektiven, für die die eine nach 5 Jahren mit ihrem Freund, mit dem sie seit sie 13 ist, zusammen ist, Schluss gemacht hat. Ich bin verwirrt. Wägt man auch die zwischenmenschlichste aller Beziehungen nach den Perspektiven ab? Ich kannte so was bisher nur von der Ausbildung, dem Beruf usw.

Ich lehne mich zurück und versuche dem Redeschwall durch Schlaf zu entgehen. Sollte das nicht klappen, vertiefe ich mich wieder in mein Buch. Draußen fliegt die Landschaft vorbei. Sie hat sich in einen grauen Nebelschleier gehüllt.

6 Kommentare leave one →
  1. November 18, 2011 5:39 pm

    Ich habe schon seit Schulzeiten keine Bahn mehr benutzt – vielleicht sollte ich das mal wieder tun?!
    Schönen Urlaub!

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  2. November 18, 2011 7:55 pm

    Als ich noch in Leipzig-Grünau im Hort arbeitete, war jedesmal ein Riesenerlebnis für die Kinder, mit der Schmalspurbahn nach Görenz zum Baden zu fahren. Die Faht dauerte mit Ein und Aussteigen höchstens 10 Minuten. Waren wir wieder zu Hause, fragten die Kinder: Wann fahren wir wieder Bahn. Manche hatten noch nie eine von innen gesehen. 😀
    Jetzt gibt es an Stelle dieser Bahn einen Radweg. Und immer, wenn ich dort mit meinem Radel langdüse, fallen mir die Bahn, die Kinder und überhaupt so allerlei ein.

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  3. November 18, 2011 8:22 pm

    Bahnfahren. Eisenbahn. Damals, 1968 bis 1975 in Mecklenburg zur Oma. Die Züge zum Teil (wirklich!) noch mit einzeln von außen zu besteigenden Abteilen, einmal sogar Holzbänke … Und der Geruch der Reichsbahnwagen hinter einer Dampflok … Und im Gang am offenen Fenster stehen und den Wind genießen …

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    • November 18, 2011 9:23 pm

      …und im Klützer Winkel der Milchholerzug von Grevesmühlen nach Klütz (Jerichow) sei auch bedacht…

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  4. November 19, 2011 12:54 am

    Mit einer Dampflok würde ich auch gerne noch mal fahren, ich kann mich noch an den Geruch im Hamburger Hauptbahnhof erinnern, damals roch es dort nach Eisenbahn, heute nach Pizza und dem anderen Wort mit Pi. Ich nehm mir das für den nächsten Sommer mal vor, das Dampflokfahren. Nach dem Dampfschifffahren.
    Bahnreisen können in der Tat sehr entspannend sein, davon bekommt man aber selten etwas mit, meist nur knappe SMS mit „Zug kommt pünktlich“. Die doch selteneren Fälle, in denen es mal aufgrund irgendwelcher Katastrophen nicht klappt, verbreiten sich dafür dann wie ein Lauffeuer.

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  5. November 21, 2011 11:06 pm

    Und in Heidelberg bin sogar mit einer Zahnradbahn gefahren

    Aus Heidelberg

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