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Schüler und Baummieter

Mai 21, 2015

Friedensreich Hundertwasser, mit ganzem Künstlernamen Friedensreich Regentag Dunkelbunt Hundertwasser, der aber bürgerlich Friedrich Stowasser heißt, kennt wohl jeder.
Obwohl eigentlich Maler, sind wohl vor allem seine Bauwerke, die die Aufhebung jeglicher gerader Linie zum Motto zu haben scheinen, den meisten bekannt. Wer nicht schon vor einem in Wien stand oder vor einem Bahnhof, hat zumindest schon mal ein Foto gesehen.
Ich machte mit dem Österreicher „Bekanntschaft“ in den 80er Jahren. Die Ausstellung war wohl in Altenburg. Mit einem klapprigen Mossi kämpften wir uns durch den Industrienebel von Espenhain und erlebten am Ziel ein Fest der Farben. Nicht nur in der Malerei. Denn schon damals begeisterten mich seine Modelle. Baumhäuser, Häuser in der Erde und „ganz normale“ Häuser. Die waren nicht nur bunt, kreativ und verweigerten sich geraden Linien und dem aus dem Plattenbau der DDR gewohnten Rationalismus. Sie schienen auch irgendwie ökologisch zu sein. Bäume, die aus Häusern wuchsen, hatte ich noch nie gesehen. Und dass man, wenn man in die Erde baut, auch Energie sparen kann, las ich dort verblüfft.
Freilich, da standen nur Modelle. Wahrscheinlich nur Wunschdenken des Künstlers.
Dann schickte mir eine Freundin aus Wien Postkarten. Da standen sie. Fotografiert. Und auch noch sozial.
Später, viel später, stand ich dann selbst in Wien vor dem Hundertwasserhaus. Ich hätte dort auf alles verzichten können, nicht auf diesen Besuch.
Vielleicht ist Hundertwasser ein bisschen mitschuldig an meinem Interesse für Architektur.
Gaudi „lernte“ ich erst später „kennen“. Und was sich unter den grauen Fassaden vieler Leipziger Wohnhäuser verbirgt, auch.
In Wittenberg nun steht die sogenannte Hundertwasserschule. Doch die wurde da nicht als solche hin gebaut. Vielmehr entstand sie 1975 als ganz normaler Plattenbau, sah aus wie alle Schulen diesen Typs und stand und steht in einem sogenannten Neubaugebiet.
Grau und trist.
Im Kunstunterricht machten sich die Schüler in den 1990er Jahren dann in dem Projekt „Wie stelle ich mir meine Schule vor“ Gedanken darüber, wie ihre Schule anders aussehen könnte. Viele der entstandenen Zeichnungen und Entwürfe orientierten sich an der für Hundertwasser so typischen naturbelassenen Bauweise.
Danach gibt es zwei unterschiedliche Versionen des Fortgangs der Geschichte. In der einen reichte ein Brief nach Wien, um den Künstler für das Projekt Sanierung zu gewinnen, in der anderen machte sich die damalige Kulturdezernentin des Landkreises mit den Kinderzeichnungen im Gepäck höchst selbst auf den Weg nach Wien, um sie Hundertwassers Managern vorzulegen.
Sie hatte Glück.
Hundertwasser weilte gerade in Wien, war von der Idee begeistert und legte schon bald den ersten – honorarfreien – Entwurf vor.
Und nun steht in Wittenberg seit dem 29.5.1999 die einzige Schule Deutschlands, die nach den Plänen des Architekten umgestaltet wurde. Natürlich mit Baummieter.
Und als wir am Herrentagswochenende durch Wittenberg radelten, war klar, dass wir dieses Bauwerk bewundern mussten. Inmitten eines tristen Neubaugebietes.

Zum groß gucken, wie immer, aufs Bild klicken

20 Kommentare leave one →
  1. Mai 21, 2015 10:27 pm

    Ich liebe Hundertwasser’s Bauten sehr. Und verglichen mit so manch anderen grauen, düsteren und trostlosen „Bildungsbunkern“ ist dieses Schulgebäude ein wahres Glanzlicht. Darin lässt sich’s bestimmt gut lernen. 😉

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  2. Mai 21, 2015 10:41 pm

    Herrlich, tolles Projekt!!! Einige Sachen erinnern mich an Details seiner Waldspirale https://docugraphy.wordpress.com/2013/09/29/waldspirale-darmstadt-friedensreich-hundertwasser/

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  3. Mai 22, 2015 10:20 am

    In so eine Schule würde ich als Schüler gerne gehen. Sie sieht schon von außen anregend aus. Und das sollte Bildung letztendlich sein, frei, offen, anregend, kein aufgenötigtes Dogma.
    Tja, radeln wird in der nächsten Zeit nicht möglich sein bei mir, aber nach Dessau und Wittenberg kommt man ja auch noch anders. 🙂
    Gruß von der Gudrun

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    • Mai 22, 2015 10:46 pm

      Dasstimmt. Da sollte auch ein Zug hinfahre, so sich ein Lokführer findet 😀

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  4. Mai 22, 2015 2:47 pm

    Bis ich drauf kam, was wohl Mossi gewesen war…
    Tolle Ideen hat der Mann schon gehabt, manche jedoch eher als Künstler denn als Baumeister.
    In Frankfurt gibts einen von Hundertwasser entworfenen Kindergarten. Hättste mal was gesagt 😉

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  5. Mai 22, 2015 3:37 pm

    ich bin hin und weg! ich überlege gerade, wie ich mein haus gestalten werde…. anregungen hab ich ja jetzt genug. übrigens habe ich erst gaudi und später hundertwasser „kennengelernt“. ich wohnte vor langer zeit in barcelona ganz in der nähe vom parque guell…

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    • Mai 22, 2015 10:48 pm

      Lange Zeit in Barcelona gewohnt? Du Glückliche!
      Ich finde schon Hundertwassers Idee vom Fensterrecht…, also wenn man das verankern würde, würde das schon viel ausmachen. Ich jedenfalls würde sofort loslegen und mein Fenster außen anmalen soweit ich mit den Händen komme

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      • Mai 23, 2015 5:19 pm

        das fensterrecht kannte ich gar nicht! toll, was hundertwasser auf den weg gebracht hat!

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  6. Mai 26, 2015 9:07 pm

    Das erinnert mich doch glatt daran, dass ich meine Bilder vom Schulbesuch dort am 11. April eigentlich auch noch zeigen wollte. Zumal wir damals für die Finanzierung des Umbaus gespendet haben… Du erinnerst Dich an das Bild, das in unserem Flur hängt?

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  7. Mai 28, 2015 2:02 pm

    Sa-gen-haft. Ich liebe Hundertwasser, die Gebäude machen einfach schon gute Laune beim angucken. Gehört habe ich den Namen erstmals als Kind, als die Erwachsenen bei einem Fernsehauftritt über den irren Zausel mit dem bescheuerten Namen lästerten, statt sich mal mit der Kunst des „irre Zausels“ zu beschäftigen. Großartiger Mann, und der Name Friedensreich Regentag Dunkelbunt Hundertwasser ist ja wohl der Knaller schlechthin.

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