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Silvester, made by Inch in Sarajevo

Februar 22, 2015

Mein kleiner Reiseführer empfiehlt Ildiza, gut mit der Straßenbahn zu erreichen. Er lockt mit hübschen Fotos und rät, die Fahrt mit der Bahn zu genießen und dabei die Stadt zu bestaunen.

Heute sollen es wieder -13°C werden, nachts gar -22°C.  Da gilt es, sich irgendwo aufzuhalten, wo man sich schnell der Kälte entziehen kann. In Ildiza soll es viele Cafés und Restaurants geben. Und die Straßenbahn schützt ja auch ein bisschen.

Die Straßenbahnen sind so voll wie die Busse (ich erwähnte es direkt am 30.12.), ich lasse zwei ziehen, eh ich in eine passe. Mit Gucken ist hier nichts, da stehen mir viel zu viele Menschen im Weg rum. Es fällt auf, dass hier nicht nur Kinder und Jugendliche ihre Sitzplätze hergeben, wenn ältere Menschen oder behinderte stehen. Und Kinder, auch noch 5-jährige, sitzen ohne zu murren auf dem Schoß ihrer Mutter. Auch die Mütter scheinen damit nicht überfordert zu sein. Die Erziehungsratgeber aus Deutschland scheinen das Land noch nicht erreicht zu haben. Das es je ein Erziehungsratgeber aus BIH, falls es so etwas überhaupt gibt, nach Deutschland schaffen wird, wage ich zu bezweifeln.

Und Ildiza? Jedenfalls im Winter vergeudete Zeit. Ein hässlicher Vorort mit hässlichen Neubauten. Immerhin, es gibt einen sehr großen Park. Der könnte von Frühjahr bis Herbst hübsch sein. Vielleicht sind hier die zahlreichen Cafés und Restaurants, von denen mein kleiner Reiseführer schreibt? Das römische Bad muss hier ganz sicher sein. Leider fehlen Hinweisschilder. Ich irre ein bisschen rum, gebe auf und mache mich auf den Weg zur Römischen Brücke.

Durch ein Neubaugebiet und ein Industriegebiet laufe ich ganz hinaus aus Sarajevo. Sehr berühmt ist die vielleicht nicht, denn ein paar Einheimische schicken mich erst mal zu einer falschen, einer schnöden aus Beton. Die richtige Brücke liegt auch in einer parkähnlichen Anlage. Vielleicht gibt’s auch einen Weg hierher ohne Neubauten und Tankstellen? Doch für Experimente ist es zu kalt, ich laufe den gekommenen Weg zurück und diesmal erkennt mich dieser eine Hund und verzichtet darauf, mich zähnefletschend zu ängstigen.

In Sarajevo gibt es sehr viele streunende Hunde, weil es keine Tierheime gibt. Allerdings kümmern sich die Bewohner um die herrenlosen Tiere, wie mir mehrmals bestätigt wird. Und ich sehe auch einigemale gut verteiltes Futter und zwei drei mal sogar Leute, die direkt aus der Tür des Fleischers tretend, Knochen oder Hühnerbeine auspacken und den Hunden hin legen. Dementsprechend sind die Hunde auch kein bisschen aggressiv. Bis jetzt jedenfalls und bis auf diesen einen.

Auch in Ildiza steht so eine neue, von irgendeinem arabischen Scheich finanzierte Moschee. Dzemal hat mir eine gezeigt, ich glaube, die hat der König von Saudi-Arabien bauen lassen, von der ist Dzemal ganz begeistert wegen der angeschlossenen, in allen Belangen kostenlosen Schule. Also keine Koranschule, sondern eine für Sprachen zum Beispiel.

Ein Teil Ildizas soll zur Srpska Republik gehören. Keine Ahnung, wer den Ortsteil zur Zeit des Krieges besetzt hielt oder wo die Frontlinie verlief, aber ich sehe hier viele zerschossene Gebäude. Also nicht solche mit Trefferspuren wie in der Stadt, sondern richtig zerschossene.

In Büdchen werden ausnahmslos Silvesterknaller verkauft, Weihnachtsmannmützen und Last Minute Weihnachtsgeschenkpakete. Im Österreichischen Viertel sah ich heute schon eine Frau einen künstlichen Weihnachtsbaum durch die Straßen schleppen. Letzte Vorbereitungen für den Neujahrsabend, der bei den Orthodoxen so gefeiert wird wie bei uns Weihnachten. Mit anschließender Silvesterparty.

Auf der Rückfahrt, klar, ich steige ja an der Endhaltestelle ein, habe ich einen Sitzplatz. Von da aus kann ich einen Blick auf einen christlichen Friedhof erhaschen. Und noch mehr Moscheen. Die meisten neu und ähnlich wie bei uns die neuen Kirchen aus Beton, austauschbar und hässlich. Ansonsten Vorstadttristesse, Neubaugebiete, Plattenbausiedlungen, grau. Keine Ahnung, was ich auf meiner Straßenbahnfahrt genießen soll.

An der Latinbrücke steige ich mit Ziel Kaisermoschee aus, aber die wird gerade restauriert, laufe noch weiter zum Franziskanerkloster, erkundige mich nach Busabfahrtszeiten, laufe zurück Richtung Altstadt, suche ein nicht näher benanntes Café in der Nähe des Hotels Europa, finde es nicht, lande in einem ohne Toilette, gehe deshalb wieder, probiere ein „öffentliches“ aus.

Dann suche ich in der Altstadt lange die Curciluk mali, wo sich das von Dijana empfohlene Ascina ASDZ befinden soll.

Ein seltsames Restaurant. Man wählt die Speisen am Tresen, wo diese auf Wärmeplatten stehen. Da sie nicht ausgeschildert sind, kann ich nur nach Aussehen wählen. Ich esse etwas mit Hühnerfleisch und Pilzen, dazu Gemüse. Das kommt alles zusammengewürfelt in einem tiefen Metallteller. Hier gibt’s ja alles auf diesen Metalltellern, normalerweise aber liebevoller angerichtet als in diesem seltsamen Lokal. Dazu Cola. Klar. Nein, dieses Restaurant ist nicht empfehlenswert, zumal es im Vergleich teuer ist und das Essen lauwarm.

Es dämmert schon, als ich mich auf den Weg zu meinem neuen Lieblingscafé mache. Das schöne an diesen bosnischen Cafés ist, dass man sich durchaus eine Stunde an seinem Tässchen festhalten kann. Auch wenn der Kaffee längst ausgetrunken ist. Man kann mit anderen Gästen schwätzen oder der Wirtin oder einfach lesen, Tagebuch oder Ansichtskarten schreiben. Ich muss ja noch in dem Buch weiterlesen, aber wieder sind viel zu viele Leute da. Da quake ich lieber mit, höre zu und schichte die Kissen um mich.

Silvester selbst, also Mitternacht, verbringe ich im Bett! Das liegt aber eher so an der nicht erreichten Wärme in meinem Zimmer. Da ist es einfach angenehmer, sich zuzudecken. Zumal der Fußboden, ein Steinboden, noch kälter ist und bei diesen Außentemperaturen eher zu Erfrierungen an den Füßen führen würde.

Ich bin nicht die einzige, die schon vor Mitternacht im Hostel ist. Im Aufenthaltsraum trinken wir noch einen Tee zusammen und rauchen die letzte Zigarette des Jahres.

Silvester selbst ist recht unaufgeregt in Sarajevo. Fünf Minuten Feuerwerk. Dann senkt sich Stille über die Stadt. Wie angenehm.

Mehr Fotos gibt es hier.

Für hier gilt wie immer: Aufs Bild klicken, groß gucken

7 Kommentare leave one →
  1. Februar 22, 2015 2:48 pm

    ganz schön kalt und grau! mich wundert, daß die ehemalige evangelische kirche und das franziskanerkloster noch am besten und hübschesten aussehen. in welcher sprache unterhältst du dich mit den einwohnern? wieder ein toller bericht!

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    • Februar 28, 2015 6:55 pm

      Englisch. Die sprechen da ganz wunderbar englisch. Also die unter 40jährigen.

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  2. Februar 23, 2015 2:00 pm

    Danke abermalen für den feinen Bericht und die Fotos.
    Ilidza war/ist ein Quartier der bosnsichen Serben. Die zerschossenen Häuser gehörten fast ausschliesslich Bosniaken, die hier bis zu ihrer Vertreibung (oder schlimmerem?) hier lebten.
    Falls du mit dem „Café in der Nähe des Hotel Europa“ auf meinen Hinweis anspielst, das Café befindet sich im gleichen Gebäude an der Ecke. Altwiener Caféhaus….

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    • Februar 28, 2015 7:18 pm

      Ah, danke für die Infos hinsichtlich Ilidza. Die Zerstörungen waren dort noch so deutlich zu erkennen.
      Und das Café? Klar spiele ich auf Deinen Hinweis an. Ich habe versucht, allem Deinen Tipps zu folgen

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      • Februar 28, 2015 7:49 pm

        Noch eindrücklicher als in Ilidza kann man das in der Republika Srbska sehen. Da sind Bosniaken ja systematisch vertrieben worden. Da kann man noch viele zerstörte Häuser sehen. Und manchen Wald kann man noch immer nicht betreten wegen der Verminungen.

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  3. Februar 24, 2015 3:04 am

    Beim vorletzten Foto hab ich gleich an Altena denken müssen, das hätte auch dort stehen können. Hügelig und kaputt. Beim Blick aus der Straßenbahn fiel mir aber endlich auf, was ich an dem einen Foto vom letzten Bericht schon so faszinierend fand. Die Häuser sehen alle aus wie hingewürfelt und stehen so eng zusammen, dass da oben eigentlich kein Platz mehr für Straßen sein kann. Ich habe das Gefühl in Sarajevo MUSS man viel zu Fuß latschen, ob man will oder nicht.

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    • Februar 28, 2015 7:15 pm

      NeeNee. Es gibt ja auch noch Busse. Aber ob man als normaler Mitteleuropäer die Ellbogen hat, sich da rein zu quetschen?Oder den Mut, auf dem Trittbrett draußen dran zu hängen?

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