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Zwischen den Kulturen

Februar 12, 2015

29.12.2014

Am Montag finde ich endlich ein „richtiges“ Café. Im Österreichischen Viertel, ein richtiges Wiener Kaffeehaus. Mit großen Tischen, allerlei Sorten Kaffee in großen Tassen. Und Kuchen und Torten. Ich als oller Kaffesachse brauche nun mal ä Sticke Sießes zu meim Scheelchen Heeßen.

Rauchen kann man hier natürlich auch. Wie übrigens auch in den bosnischen Cafés. Aber da gibt es ja nix zu essen. Und in den Restaurants, da gibt es zwar lecker Essen, aber keinen Kaffee. Rauchen kann man da natürlich auch nicht, was ok ist. Was aber stört, ist der Fastfood-Charakter. Also nicht beim Essen. So eher beim Flair. Man isst – und geht.

Gestern, nachdem ich mich von Jasmin verabschiedet hatte, bin ich noch in eine Buregdzinica gegangen, Burek essen. Oberlecker. Aber eben essen – gehen.

Auch heute schneit es. Und es scheint jeden Tag kälter zu werden. Abends, wenn die Sonne weg ist oder das Tageslicht, glaube ich jedesmal, mir friert gleich die Nase ab. Trotzdem, auf Museen habe ich nicht wirklich Lust und weil ich immer noch ein bißchen überlege, ob ich mal nach Mostar fahre, beschließe ich, zum Bahnhof zu laufen und herauszufinden, ob und wie man da mit der Straßenbahn hinkommt. So habe ich das Café gefunden. Und bei Latte Macchiato und Erdbeer-Joghurt-Torte verliere ich fast ein bisschen den Elan. Der Laden hier ist eine echte Oase. Die am Fenster vorbei eilenden, tief eingemummelten Menschen und der Schneefall sind da keine wirkliche Option.

Trotzdem.

Hier im Viertel, rund um die orthodoxe Kathedrale, gibt es sogar noch einen Weihnachtsmarkt. Erst bin ich verblüfft, dann fällt mir ein, dass die ja erst am 6. Januar feiern.

Ich laufe weiter und am Einkaufszentrum Alta kommt sogar die Sonne raus. Hier ist auch das Holiday Inn, von dem mir der Herr Ärmel erzählt hat. Hier wohnte die kriegsberichterstattende Journalie in den 1990ern. Vorher war es allerdings das Hauptquartier der Serbischen Demokratischen Partei. Von hier aus schossen am 5. April 1992 auch Heckenschützen auf einen Demonstrationszug, wobei eine Bosnierin und eine Kroatin erschossen wurden. Sie hatten, so Jasmin, für die Einheit des Landes demonstriert.

Für die Bosnier ist damit der 5. April 1992 der Tag des Kriegsbeginns. Für die Serben gilt dagegen der 1. März desselben Jahres als Beginn der Kämpfe. An diesem Tag schoss in der Altstadt ein bosnischer Soldat auf eine Hochzeitsgesellschaft, tötete einen Serben und verletzte den Priester. Versuchen Sie sich selber zurecht zu finden in diesem  Irrsinn.

Ich finde den Bahnhof, hopse in die Straßenbahn Nr.1 und fahre zurück.

Was für eine Fahrt. Fünf Minuten braucht die Bimmel für zwei Haltestellen. Es geht am Fluss entlang. Mir dauert das alles zu lange, außerdem gibt es soviel zu sehen. Draußen. Moscheen Synagogen, Kirchen. Also steige ich vor meinem Ziel aus, laufe die halbe Strecke noch mal zurück, gucke, kriege Hunger und laufe wieder zurück in die Altstadt.

Das „To be (or not) to be“ hatte ich ja schon am Samstag gefunden. Jetzt ist es Zeit, reinzugehen und zu essen. Herr Ärmel hat erzählt, dass dieses Restaurant wohl das einzige der Stadt ist, dass auch während der Belagerung der Stadt durchgängig geöffnet hat.

Wieder so ein kleines Restaurant. Vielleicht vier Tische?

Ich bin der einzige Gast, gucke dem Wirt bei der Zubereitung des Pfeffersteaks zu und smalltalke ein bisschen. Natürlich leben hier in Bosnien-Herzegowina die glücklichsten Tiere der Welt und das Fleisch, in dem Fall Rind, ist auch nirgendwo besser als hier.

Dann gehe ich doch in ein Museum.

Gegenüber der Gazi-Husrev-beg-Moschee betrete ich die Kursumlija Medresa, ein Schulgebäude aus dem Jahr 1537. Wie die Moschee, wie überhaupt viele öffentliche Gebäude der Stadt, ließ Gazi Husrev-beg sie erbauen. Dieser Gazi Husrev-beg gilt als der bedeutendste Förderer und Mäzen der Stadt. Seine Stiftung und Schenkungen zum Wohl der Gemeinde (vakuf) prägen noch heute das gesamte Altstadtbild. Neben der schon erwähnten Moschee und der Schule wären da z.B. noch der Uhrturm (der nicht die Uhrzeit anzeigt, sondern die Zeit, wann zum Gebet gerufen wird), Armenküche, Gästehaus, Gasthaus, Hamam (öffentliches Bad), Bezistan (Markthalle), ein Gebetshaus mit Internat (Hanikah) und natürlich eine Bibliothek.

Die Medresa ist wohl eher als Hochschule zu verstehen. Hier wurde u.a. Theologie gelehrt, Philosophie und Jura.

Aber die Schule oder Universität ist nicht besonders spannend. Leere kahle Klassenzimmer gruppieren sich um ein Atrium mit Brunnen.

Im Hostel gilt es dann zu sehen, welche Probleme lösbar sind.

Die Heizung gehört nicht dazu. Die schafft es einfach nicht, mein Zimmer warm zu kriegen. Eigentlich kein Problem, will ich doch da nur schlafen. Aber das Bad ist gar nicht beheizbar bzw nur über das Zimmer. Das ist zu viel.

Die ganz furchtbar unbequeme Matratze dagegen tauscht Dzemal mir umgehend aus. Und schleppt auch noch eine Decke an.

Gegen die Gäste aus dem Zimmer gegenüber kann er auch nichts machen. Familie mit Baby und Kleinkind. Von ganz weit her. Baby schreit natürlich morgens ab 6. Das ist nicht das Problem, auch nicht, dass die Mutter dann mit Baby das Zimmer verlässt, damit Kleinkind und Vater weiter schlafen können (obwohl ich es natürlich fragwürdig finde, mich mit meinem Baby in einen Raucherbereich zu setzen). Das Problem ist eher, dass der Vater bald folgt. Und dann das Kleinkind. Nun sind alle draußen. Also vor meiner Tür. Baby ist inzwischen wieder still. Kleinkind sowieso. Aber Mutter und Vater scheinen in einer Einsiedelei zu wohnen, ohne Nachbarn. Oder früher Heavy Metal gehört zu haben.

Ich schnappe mir ein Buch und versuche die leicht laut geführten Gespräche zu überhören.

Eigentlich hört man hier nix. Aber solche Gäste.

Abends dann scyped Mutter mit Mama. Vor meiner Tür. Klar, sie will die Familie nicht stören. Aber wissen Sie, wie so ein blechernes Jingjang klingt? Volle Lautstärke? Ohne Punkt und Komma?

Ich weiß jetzt, wie man aus Verzweiflung zum Totschläger wird. Zum Glück für mich und meine auch weiterhin straffreie Karriere ist das die letzte Nacht, die ich ertragen muss.

Ich setze mich raus, mit Buch und Tee und rauche. Wahrscheinlich ist das alles auch nur ein kulturelles Mißverständnis, denke ich mir, und das es Länder gibt, wo ich nicht hin will.

Da kommen neue Gäste. Acht Leute, so zwischen 40 und 50. Die Frauen sehr kommunikativ, die Herren eher schüchtern (vielleicht sind denen allein reisende Frauen ja suspekt).

Vielleicht sind die neuen Gäste ja auch der Grund für eine vorzeitige Abreise der Familie? Denn wo die letzten Tage nur ich ab und an saß und ein Mädchen aus dem Nachbarzimmer, sitzen jetzt acht. Die halbe Nacht. Rauchend. Sehr viel rauchend. Dann verdanke ich denen meine weiterhin straffrei verlaufende Karriere.

Danke.

Fotos von der Medresa und dem Hof der Gazi-Husrev-beg-Moschee habe ich Ihnen schon mal gezeigt, als ich direkt aus Sarajevo gebloggt habe: Ein langer Spaziergang

Für den Rest gilt: Drauf klicken= groß gucken

10 Kommentare leave one →
  1. Februar 13, 2015 5:25 am

    Wieder eine treffliche Beschreibung – vielen Dank dafür.
    Es gibt einen Film, den ich empfehlen kann: „Welcome to Sarajevo“ von 1997. Der gibt damalige die Situation offensichtlich ganz gut wieder.

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  2. Februar 13, 2015 1:53 pm

    Und ich merke bei jedem (soo tollen und inspirierenden) Beitrag, dass ich einfach keine Ahnung habe von der Geschichte und Kultur und v.a. Gegenwart dieses Stückes Europa… Ich lese so gern mit und lerne so viel (und werde morgen früh mal die Bücherei durchstöbern nach einem Werk, das mir vielleicht einen Überblick gibt). Danke und weiter so!

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  3. Februar 13, 2015 3:06 pm

    da kann ich mich lydia nur anschließen… danke!

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  4. Februar 16, 2015 1:06 am

    Bei Latte Macchiato und Erdbeer-Joghurt-Torte hätte ich sicher auch etwas Elan verloren, zum Glück hast Du ja immer noch genug, wäre schade gewesen um diese Ansichten von Sarajevo. Tolle Fotos, ganz besonders der Blick vom osmanischen ins österreichische Viertel hat es mir angetan.
    Eigentlich war es auch genau das richtige Wetter, eine Stadt im Schnee sieht weit besser aus als im Regen *g*.

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  5. Februar 16, 2015 8:31 am

    @ all
    Ich hatte am Wochenende die Prinzessin da und an solchen Wochenenden habe ich keine Zeit. Zu nix, außer Enkelbespaßung. Deshalb antworte ich Euch allen zusammen.
    Den Film, Herr Ärmel, den Du ansprichst, habe ich möglicherweise sogar schon gesehen. Ich las letztens eine Kritik und da kam mir der Plot sehr bekannt vor. Letzten Mittwoch aber kam auf Arte ein Film, da gings zwar im Serbien, um Homophobie und Korruption, aber irgendwie auch um den Jugoslawienkrieg. Die Parade, heißt er . Sehr empfehlenswert, auch wenn man sich durch die ersten 10-15 min nuja, nicht grad kämpfen muss, aber man fragt sich schon, was das werden soll.
    Lydia, Antje. Ich wusste ja auch nix. Ich habe zwar in den letzten Jahren ein paar Bücher gelesen, aber natürlich Romane, Gedichtbände, also alles aus subjektiver Sicht geschrieben, die politischen Zusammenhänge, damit habe ich mich tatsächlich erst in Sarajevo befasst.
    Zaphod, Du hast natürlich Recht. Schöner seiht es mit Schnee aus. Nur ein bissl mehr Sonne wäre noch schöner gewesen. Allein schon, um wenigstens am Tag ein bischen nicht ganz so zu frieren. Aber klar, lieber Schneefall als Regen. Das stimmt und ich höre sofort auf, zu meckern 😀

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    • Februar 16, 2015 11:25 am

      Guten Morgen, liebe Inch. Vielen Dank für den Hinweis auf Parada, den Film kenne ich schon. Vielleicht kennst du diesen Film noch nicht: „Grbavica (Esmas Geheimnis)“ (2006).

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Meinungen?