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Jubiläum

Oktober 10, 2014

Gestern also der 9. Oktober.

OLYMPUS DIGITAL CAMERAObwohl es vor 25 Jahren schon vor dem 9. Oktober Demos, auch große, auch in anderen Städten gab, gilt der 9. Oktober 1989 als Beginn der friedlichen Revolution. Vielleicht, weil da 70000 um den Ring zogen. Vielleicht, weil es im Gegensatz zu den Demos in anderen Städten und auch zu denen in Leipzig selbst vor jenem 9. Oktober 1989, friedlich blieb. Trotz aller Ängste. Trotz aller Drohungen. Die Menschen, die dabei waren, rückten ganz eng zusammen, erzählen sie heute, weil sie den Schutz des anderen suchten. Ich war am 9. Oktober nicht dabei. Ich war am 7. Oktober dabei, und da rückten wir nicht zusammen, wie rannten zwischen Feuerwache und Bahnhof hin und her, eingekesselt und gejagt vorn Polizei. Habe ich alles schon auf diesem Blog erzählt.

Geschichten.

Geschichten, die, die nicht überall lautstark erzählt werden, sind das beste an so einem Tag. Selbst und auch wenn sie bei der Nachlese im Fernsehen erzählt werden.

Am besten aber sind die, die man im persönlichen Gespräch hört.

25 Jahre.

Und es gibt immer noch Geschichten, die man, die ich noch nicht kannte.

Eigentlich gehe ich nicht zum Lichtfest. Gut, als das vor 5 Jahren, zum 20jährigen Jubileum stattfand, hielt ich das für eine gute Idee. Ich ging hin mit dem Kind und Kindern, erzählte ihnen von damals vor 20 Jahren und lauschte gespannt ihren Interpretationen der Geschichte. Später traf ich mich mit Freunden, traf noch andere Freunde, lauschte erzählte erinnerte.

Jedes Jahr am 9. Oktober ein Lichtfest zu veranstalten hielt ich für überflüssig. Man kann eine Idee, ein Gedenken, einen besonderen Moment auch tot latschen.

Aber gestern. 25 Jahre. DA kann man mal wieder gucken gehen. Und dann suchte eine Freundin jemanden, der mit kommt. Und da die anderen Freunde grad in Montenegro sind oder Kuba, zu Kur oder kurz vor Polen, blieben nur wir zwei.

Das schönste an so einem Tag sind die Geschichten, die man noch nicht kennt.

Gestern schlenderten die Menschen eher über den Ring. Nichts zu spüren von der Ernsthaftigkeit,dem Bewusstsein der Bedeutung, wie noch vor 5 Jahren. Die Leute schlenderten. Die ganze Innenstadt eine Lichtinstellation. Und dazwischen die Menschen, die sich über manches wunderten, einiges nicht verstanden, vor anderem fasziniert stehen blieben und wieder anderes mit Beifall bedachten. Wir waren da nicht anders. Schlenderten, erzählten uns unsere Geschichten, staunten, wunderten uns, blieben stehen, flohen vor allzu großem Lärm..

Erstaunlich. Gleich alt. In etwa dieselben Biografien und doch so anders. Denn die Freundin lebte schon nicht mehr im Ländle, verfolgte die Geschehnisse in ihrer Heimatstadt gespannt vor einem Fernsehgerät in irgendeiner WG in West-Berlin.

Und in Budapest, am Abend vor dem paneuropäischen Frühstück, das ja eigentlich ganz anders gedacht und dann dazu führte, dass Hunderte über die ungarisch-österreichische Grenze flohen, hätten wir uns begegnen können. Wir standen auf dem selben Bahnsteig. Die Freundin brachte Freunde zum Zug, die noch mal nach Hause wollten, um letzte Dinge zu regeln, ich fuhr, für meine ungarischen Freunde überhaupt nicht nachvollziehbar, nach Hause.

Die Freundin fuhr danach andere Freunde zum „Loch im Zaun“, überquerte die Grenze dann regulär, um in Österreich auf die Freunde zu warten.

Das passierte, während ich im Zug nach Hause saß. Von der „Massenflucht“ erfuhr ich also erst einen oder zwei Tage später. Dass eine Freundin dort war, dass diese Freundin dort war, erst nach 25 Jahren.

Das schönste an so einem Tag sind die Geschichten, die man so zum ersten Mal hört.

20 Jahre 9. Oktober                                               Geburtstagsständchen                                          Die Angst vor dem Himmlichen Frieden

8 Kommentare leave one →
  1. Oktober 10, 2014 11:02 am

    Ich bin sowohl den 70.000 als auch den „Sechs“ dankbar. Ich war damals gerade 15 und vieles ist an mir vorbeigegangen. Vieles habe ich erst später begriffen und verstanden.

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    • Oktober 10, 2014 7:44 pm

      Ja, 15 ist jung. Ich bin froh, dass ich genau im richtigen Alter war.

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  2. Oktober 10, 2014 1:38 pm

    „…Geschichten. […] Am besten aber sind die, die man im persönlichen Gespräch hört…“
    Genau, das sehe ich genau so.

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  3. Oktober 10, 2014 2:19 pm

    Ich weiß nicht mehr, was wir am 9. Oktober gemacht haben. Da wir aber am 5. Oktober nach vom Stadtrand nach Berlin umgezogen sind, werden wir wohl alle Hände voll zu tun gehabt haben. Immerhin hatte der beste Prognosenersteller von allen nach der Ausreise der Menschen aus der Prager Botschaft nur ganz knapp gesagt: „Jetzt können wir umziehen und bleiben. Jetzt dauert es nicht mehr lange…“ Er sollte Recht behalten.

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    • Oktober 10, 2014 7:54 pm

      Ich dachte: Also nach dem die aus der Prager Botschaft raus sind und die Leute über Ungarn und so, dass ich nun wahrscheinlich doch die sein werde, die das Licht ausmacht. Also in der Stammkneipe.

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      • Oktober 10, 2014 7:57 pm

        Siehst Du und der Liebste dachte, von vier Seiten einmauern, geht nicht.
        Und ich war emotional zerrissen zwischen Bleiben und Gehen…

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  4. Oktober 10, 2014 5:38 pm

    Womit wieder einmal bewiesen wäre, daß sich die „große Geschichte“ aus ungezählten kleinen Geschichten und Schicksalen zusammen setzt…. Danke, daß du deine anlässlich des Jubiläums des 9. Oktobers mit uns teilst.

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    • Oktober 10, 2014 7:52 pm

      Findest Du? Ich habe eher den Eindruck, dass die kleinen Geschichten der großen Geschichte völlig schnurz sind. Die „Große Geschichte“ wird , das haben wir ja schon in der Schule gelernt, von den Siegern geschrieben. Was nun diese Geschichte ist, wird sie von Politikern geschrieben. Und TV-Sendern. Leuten, die ziemlich genau wissen, wie es in der DDR war und zuging, was die Leute auf die Straße trieb. Seltsamerweise kommt dann eine Geschichte raus, die sich irgendwie anders anfühlt als die erlebte. Liegt es daran, dass ich mittendrin stak und den Überblick verlor?Oder ist es meine ideologisch gefärbte Schulbildung, mein kommunistisches Studium, dass mich die Dinge nicht erkennen lässt, wie sie wirklich waren?
      Die Reden, die gestern geschwungen wurden, haben wir uns übrigens nicht angetan, falls sie denn in der Öffentlichkeit gehalten worden und nicht vor einem ausgewählten Kreis von Zuhörern. Ich las allerdings heute davon. Und mir schwoll der Kamm. Gut, dass ich die nicht live hören musste. Am Ende wäre ich doch noch zum Steinewerfer geworden

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