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Vom Umgang mit Menschen

September 11, 2014

20.Juli, Chabarwosk, Sonntag

Beim Frühstück haben wir einen armen Asiaten beobachtet, der versucht hat, irgendwie mit dem einen Toastbrot Butter und Marmelade auf das andere Toastbrot zu kriegen. „Unsere“ Putzfrau hat keinen Dienst, also sitzen auch wir ohne Geschirr da, aber wir haben wenigstens Messer.

Unser Zug nach Wladiwostok geht erst am Abend, ich freue mich auf das letzte Stück, will mir so ein Teeglas samt Halter kaufen und bin gespannt darauf, wen wir kennenlernen werden.

Aber noch ist Zeit.

Gestern war es ja während der Wasserspiele wundersamerweise trocken geblieben, dafür hat es in der Nacht wieder geregnet. Und auch an diesem letzten Tag werden wir uns wohl immer wieder nach einen Dach umsehen müssen.

In der Leningradskaja soll es eine Holzkirche geben. Da waren wir gestern, gesehen haben wir nichts. Also machen wir uns gezielt auf die Suche und finden sie, ziemlich versteckt, hinter ein paar Wohnhäusern. Doch kaum sind wir durchs Tor getreten, rückt uns ein Alter auf die Pelle. Sagt nichts, kommt uns nur sehr nah. Ich denke, er will betteln, die Cousine denkt an schlimmeres, unanständiges. Wir weichen aus, der Alte folgt uns. Schließlich sagt er. Das ist hier nicht erwünscht. Was? Das ist hier nicht erwünscht. Wir verstehen nicht, was nicht erwünscht ist. Wir? Fotografieren? Die Gläubigen starren uns an. Wir gehen.

Der Alte folgt uns bis zum Tor und dort, wo in Russland immer Bettler sitzen, verjagt er auch die. Ich bin sprachlos. Was für ein Scheiß ist das denn? Was für eine Art Christen beten denn hier? Dabei sind die Bettler keinesfalls aufdringlich. Sitzen einfach nur da mit ihren Bechern und wenn jemand etwas hinein gibt, wünschen sie ihm Gottes Segen.

Auf dem Ussurskij Boulevard wollen wir in einem Chinarestaurant essen. Aber da liegt noch der Müll vom Vorabend und es scheint auch niemand interessiert, für uns irgendein Plätzchen zu reinigen. Wir landen in einem kleinen Restaurant mit überdachtem Freisitz. Also eigentlich ist der überdachte Freisitz das Restaurant.

Die Cousine will zum Amur, wie immer eigentlich, aber ich weigere mich. Welch ein Glück, so können wir vorm einsetzenden Regen ins Chao Kakao flüchten. Dann fahren wir mit dem Bus doch zum Amur. Irgendwie müssen wir die Zeit rumkriegen und es regnet jetzt unaufhörlich. Also Heimatkundemuseum. Das ist am Fluss, aber so unverschämt teuer, dass wir es sein lassen. Also stapfen wir durch den Regen zurück, steigen in den falschen Bus, was uns eine Stadtrundfahrt beschert, steigen am Bahnhof aus, holen unser Gepäck und laufen wieder zurück. Nachdem wir dort in einem kleinen Café recht lecker gegessen haben, kommt wie zum Hohn die Sonne raus. Die Cousine rennt noch mal in den Supermarkt, ich setze mich an einen Brunnen, packe das große Objektiv raus und will Leute fotografieren. Dabei beobachte ich, wie zwei Security vor dem Einkaufszentrum einen Mann verprügeln. Als sie ihn abgeführt haben, nehmen sie sich den zweiten vor. Ein Milizionär guckt zu. Todesmutig fotografiere ich. Ich habe wirklich Schiss, dass die mich sehen. Wer weiß schon, wie die darauf reagieren? Ausländer fotografiert repressive Bullen, oder so?

Der Zug ist gar kein Transsib-Zug, er kommt vielmehr aus Komsolmolsk na Amure und gehört zur BAM. Toll, ganz toll. Hier gibt es natürlich nicht die Teeglashalter der Transsib zu kaufen. Zwar komme ich jetzt doch dazu, ein Stück BAM zu fahren, aber ich wollte doch so einen Halter!

Auch sonst ist der Zug anders. Es gibt nämlich eine funktionierende Klimaanlage und Biotoiletten (?). Das jedenfalls verkündet die Schaffnerin und warnt jeden, Papier hinein zu werfen. Lecker. Das kommt nämlich jetzt in einen Abfalleimer. Dafür aber ist die Toilette auch bei größeren Aufenthalten geöffnet.

In unserem Abteil sitzen zwei unglaublich rücksichtslose fette junge Mädchen nebst einem Kleinkind. Letzteres muss sich selber bespaßen, die Frauen sind mit ihren Smartphones beschäftigt. Eine fragt immerhin mal, woher wir kommen und wohin wir wollen, aber während die Cousine antwortet, guckt sie schon wieder, was sich bei Facebook so tut.

Dann kommt noch eine Dritte. Auch als wir unsere Betten machen, bleiben sie sitzen, während wir um sie herumturnen.

Jetzt sitzen sie da, trinken Bier, fressen Nüsse, reden ohne Punkt und Komma und das Kind schaut Trickfilme auf Mamas Handy. Mal sehen, was passiert, wenn wir essen wollen.

12 Kommentare leave one →
  1. September 11, 2014 10:06 pm

    Die Szenen, die du beschreibst, muten teils so fremd an, so faszinierend…

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  2. September 12, 2014 2:40 am

    da kann ich nur sagen „gute weiterreise“, aber das hast du ja schon hinter dir. feine berichte und fotos, danke! der umgang mit menschen ist oft unverständlich…

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  3. September 12, 2014 6:20 am

    Hach, wieder an einer spannenden Stelle abgebrochen… 😉

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  4. September 15, 2014 8:37 am

    Hast Du so einen Teeglashalter noch irgendwo anders bekommen? Hatte er ein besonderes Motiv?

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    • September 15, 2014 9:24 am

      Nein, habe ich nicht, die gabs nur in der Transsib. Das Motiv war 100 Jahre Transsib. Und sie waren natürlich versilbert. Ich habe ja schon welche zu Hause, das ist es ja nicht, aber ich fand, diese Halter von der Transsib seien das perfekte, nützliche Souvenir

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  5. September 17, 2014 11:42 am

    Die Security in unseren schicken Einkaufstempeln soll auch nicht besonders zimperlich sein was „unerwünschte Personen“ betrifft, aber die prügeln nur wenn keiner guckt weil´s hier Gott sei Dank noch Konsequenzen hat. Und Christen, naja…je gläubiger desto schlimmer meist.

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