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Ganz im Osten

August 31, 2014

Achtung! Hier und heute geht es nicht um Russland!

(Dafür gibt es Musik. Omega, Kisstadion ’79. Das höre ich grad. während ich schreibe. Wegen der Erinnerungen)

Es geht heute nicht um Russland, aber um den Osten. Kann sein, dass das nicht im Osten geborenene nicht verstehen werden und mich im Osten geborene für total bekloppt halten. Urteilen Sie selbst. Vielleicht hilft es Ihnen, erst diesen Blog zu Ende zu lesen, ehe Sie den Links folgen und guggeln und sich über Inchs Geschmack wundern. Das hat alles nichts mit Geschmack zu tun! Inch war beim Konzert. Was heißt hier Konzert. Inch war beim Sommerfestival!

Aber der Reihe nach.

Mittwoch oder so rief mich eine Freundin an. Meine Gute, hättest Du Lust, ES KOSTET NICHTS, mit zu Omega, zu kommen?

Mein spontane und unverzügliche Zusage hat die Freundin wohl überrascht. Wirklich ?, hakte sie nach. Klar!

Erst letztens fuhr ich mit Freunden mit dem Rad zu Freunden und da, auf der Terrasse sitzend, Bier, Limoncello und Whisky trinkend, kamen wir auch auf die alte Musik. Die von früher. Die aus dem Osten. Wir zählten auf, was wir noch für Platten hätten, machten uns alle lustig über die Roten Gitarren, konnten aber alle deren Texte auswendig, oder wenigstens die Texte der zwei Hits, die hier jedes Kind kannte und kamen zu dem Schluss, dass Omego so dermaßen gut war, dass wir da auch heute noch hingehen täten. Wir rätselten noch ein bisschen, was aus den Bands geworden sei, trugen Wissen zusammen, Gehörtes, Vermutungen.

Und jetzt ruft mich also eine andere Freundin an, eine, die gar nicht mit zu den anderen Freunden mitgeradelt ist, und fragt, ob ich mit, ES KOSTET NICHTS, zu Omega komme.

Sie hat nämlich Karten gewonnen. Zwei Stück. Das Konzert ist in Kamenz, nennt sich RSA-Sommerfestival und da spielen nur Ostbands. Keimzeit. Gut. Karat, Wolfgang Ziegler? Ach Du meine Fresse. Aber Scheiß drauf, für Omega halte ich das aus.

Am frühen Samstag Nachmittag holt sie mich ab und wir fahren nach ganz in den Osten, nach kvP sozusagen, nach kurz vor Polen. Unterwegs verschwatzt sie sich und es stellt sich heraus, dass da auch die Roten Gitarren spielen. Die. Roten. Gitarren!!! Ich flippe aus. Das ist ja der Wahnsinn, die zu sehen ist ja fast noch besser als Omega. Die Freundin freut sich, dass die Polen da spielen, hätte sie sich nicht getraut zu fragen. Bist Du irre, Freundin. Die.Roten.Gitarren!!! Das ist Kult!

Mit diesem Ausblick überstehe ich sogar Tino Eisenbrenner und Jiri Korn.

Um an die Tickets zu gelangen, musste die Freundin einen Kuchen backen. Das hat den Vorteil, dass wir am Parkplatz vorbei und hoch zum Bühneneingang auf den Hutberg dürfen. Kuchen abgeben. Zwar sollen wir dann wieder runter zum Parkplatz, aber wir finden eine andere Möglichkeit.

Kaffee trinken in der Hutberggaststätte, noch den restlichen, im Auto nicht geschafften Tratsch austauschen und ab, anstellen.

Ich war noch nie bei sowas. Also bei so einem Ostrockdingens. Ich war eigentlich fast auch nie bei irgendeinem Konzert einer der sogenannten Ostrockbands. Wo ich früher nicht hin bin, da muss ich auch heute nicht sein. Und die, wo ich früher war, gibt es ja teilweise nicht mehr. Renft zum Beispiel oder Magdeburg oder Elektra. Ich wäre vor 89 nie zu Karat gegangen, also gabs danach auch keinen Grund hinzugehen. Mit Ostrockbands, um das mal klar zu stellen, meine ich die, die es schon vor dem Herbst 1989 in der DDR gab.

So also, ein Ostrockfestival. Ich erschrecke mich erst ein Mal vor dem Publikum. Obwohl ja zu erwarten war, dass ich genau dieses hier treffe. Muddies und Vadies eben.OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Scheiße, Freundin, hier sind lauter alte Leute.

Na Du, die sind in unserem Alter.

??? Aber wir sehen doch besser aus, oder???

Die Hutbergbühne ist eine überraschend schön Location. Nur, weswegen die da direkt vor die Bühne auch Stufen gebaut haben, bleibt mir ein Rätsel. Das ist doch totalunfallgefährlich.

Dass das der TÜV so abgenommen hat.

Ich glaube, der TÜV weiß gar nicht, wo Kamenz liegt.

Aber Tontechniker und Leute, die so OpenAir Dingens bauen, wissen es definitiv. Die Akustik ist in jedem Winkel des Geländes gleich gut.

Eigentlich geht’s erst 18.00 Uhr los, aber da unten spielt schon eine Band namens „Die Ossis“. Nie davon gehört. Aber die Freundin kennt sich aus, die covern lauter alle DDR-Hits. Machen sie recht gut und so komme ich mal wieder da zu

Wer die Liebe, wer die Liebe ehrt,

der ehrt heutzutage auch den Hass.

Der zur Liebe noch dazugehört,

noch so lang. So lang man sie bedroht.

(Renft. Link führt zum Hören)

mitzusingen.

Das eigentlich gute an den DDR-Bands waren ja die Hammertexte. Das war nicht irgendwas zusammen gereimtes, das war echte Lyrik. Außer vielleicht bei den Roten Gitarren.

Punkt 18.00 Uhr eröffnen die zwei Starmoderatoren des RSA den Abend, gleichzeitig geht der Radiosender auf Liveschaltung.

Was nun, vor den vier oder fünf Hauptbands, aufgefahren wird, darf jeweils drei ausgewählte Stücke vortragen.

Muck fordert gleich mal alle anwesenden Rentner auf, die Hände zu heben. Ist es ein gutes Zeichen, dass es doch nicht jeder Zweite auf dem Gelände ist? Ich sehe sogar junge Leute. Wenige, aber was zur Hölle machen die hier? Die mitgeschleppten Kinder können ja nichts dafür. Sind die jungen Leute frühere mitgeschleppte Kinder?

OLYMPUS DIGITAL CAMERAGegen Dirk Zöllner (Käfer aufm Blatt. Hat er aber nicht gesungen) ist nichts einzuwenden. Vor Tino Eisenbrenner und Wolfgang Ziegler versuche ich mich durch Bier holen und aufs Klo rennen zu retten. Aber die Akustik ist gnadenlos. Gucke ich eben den Leuten zu, wie sie ausflippen. Ach guck, der Ziegler hatte tatsächlich einen Hit. Ich kenn zwar den Text nicht, aber an die Melodie kann ich mich erinnern.

Dann das Jiri Korn 4TET. Oh nein, bitte, ich flüchte noch mal aufs Klo. Aber dann: Was für eine Überraschung. Vier Herren im Zylinder und dunklen Outfit stehen auf der Bühne und singen A capella. Und wie! Die sind saugut. Länger als 30 min möchte ich das zwar nicht hören, aber länger als 30 min kann ich so etwas eh nicht hören. Und der Tscheche beweist Humor, als er ankündigt, dass ja alle wissen, dass er auf der Suche nach Ivetta ist. Und er hat sie immer noch nicht gefunden. Und dann kommt eine sehr humorvolle Version des Uralthits, der mich früher nur genervt hat.

Nu will ich aber endlich Die Roten Gitarren!

Umbaupause. Und dann flippt alles aus. Ich mit. Wie vorher ausgemacht, verlassen wir unsere Sitze und begeben uns in den Raum vor der Bühne.

Die Roten Gitarren. Ich habe sie noch genau vor mir: Weiße Anzüge, rote Gitarren. 1965 in Gdanks gegründet, wollten sie die Beatles Polens werden. Ihr Deutsch war grammatikalisch nicht immer perfekt, aber vielleicht war genau das ein Teil ihrer Kultwerdung. Und natürlich ihre Texte: Voll romantisch! Was fürs Herz quasi.

Nichts kann mir dich nehmen,   OLYMPUS DIGITAL CAMERA
nicht der dichste Strauch,
nicht der schmalste Steg,
nicht der längste Weg.
Hört nur,
geht mal sehen,
was auch immer war,
trotz des tiefen Leid
halt einmal die Zeit.

(Rote Gitarren, Link führt zum Hören und Gucken. Leider ist aber gerade der Beginn ein bisschen abgeschnitten)

Inzwischen ein bisschen aufgejüngt, nicht mehr in weiß und auch die Gitarren nicht mehr nur in rot, zeigen sie sich als Vollprofis und bieten dem Publikum genau das, was es will. Ein paar neuere Songs und dann DIE zwei Hits zum Mitsingen. Es brennt der Wald und Weißes Boot (bemerkenswert finde ich, als ich die Songtexte im Internet fand, wie grammatikalisch korrekt die sind, Zum Glück singen die Herren wie gewohnt).

Keimzeit, die ich zum letzten Mal vor vielleicht 15 Jahren live gesehen habe, sind erschreckend langweilig geworden. Norbert Leisegang schwebt wie in Trance über die Bühne, geht ganz in seinen Klangwelten auf. Das ist möglicherweise gut in der Konserve, aber für ein Konzert ist mir das zu abgehoben. Zum Glück performt auch die Band noch ihren Hit Kling Klang.

Die meisten Menschen auf dem Hutberg warten wohl auf Karat. Die anderen meisten auf Omega. Ich gehöre zu den anderen meisten.

Aber, die Musik lief halt im Radio, als ich jung war. Text und Musik sind einfach gut. Die Band war mir damals, vor 89, zu angepasst. Da verbot sich jeder Konzertbesuch. Vielleicht bin ich inzwischen älter, weiser und toleranter geworden, vielleicht aber auch ist kein Kraut gewachsen gegen die Musik der eigenen Jugend. Und die Band präsentiert einen Hit nach dem anderen. Manche waren mir zwischenzeitlich entfallen, dann aber kann ich sie sofort mitsingen. Über Sieben Brücken müssen wir eh erst mal den Musikern vorsingen, aber so Sachen wie der Blaue Planet oder Schwanenkönig hatte ich tatsächlich verdrängt. Aber Himmel, ist dieser Text nicht so aktuell wie dazumal?

Soll unser Kind, das die Welt noch nicht kennt,
alle Zeit ungeboren sein?
Uns hilft kein Gott unsere Welt zu erhalten

Fliegt morgen Früh um halb drei nur ein Fluch und ein Schrei
durch die Finsternis?

(Karat, link führt zum Hören und Gucken)

Ach verdammt noch mal, das geht ans Herz. Eigentlich der ganze Abend. Und schaute ich die anderen Besucher vor 6 Stunden noch misstrauisch an, meinte die Freundin noch vor 5 Stunden, dass sie sich hier immer noch deplatziert fühle, sind wir inzwischen mittendrin. Wir feiern unsere Jugend. Kein System! Das lass ich mir nicht einreden. Es ist wie ein großes gigantisches Klassentreffen. (Jetzt hört man ja auch niemanden mehr reden) Alle feiern, und auch wir singen mit in den Umbaupausen, wenn einer der beiden Moderatoren alte Kinderlieder anstimmt. Kleiner weicher Teddybär zum Beispiel oder Wenn Mutti früh zur Arbeit geht und natürlich Immer lebe die Sonne, erst auf Deutsch, dann auf Russisch. Heute frage ich nicht danach, was die Leute hier morgen wählen mögen. Heute frage ich nicht, ob sie aus ostalgischen Gründen hier sind oder warum auch immer. Nein, das ist keine Ostalgie. Das ist eine Feier der eigenen Jugend.  Mit der Musik, die uns umgab und die, so sehr wir auch nach der aus dem Westen lechzten, in ihren Texten doch viel treffender unsere Sehnsüchte ausdrückte. Zwischen den Zeilen natürlich. Aber wir hatten ja alle gelernt zwischen, den Zeilen zu lesen und zu hören.

Ich war noch nie bei so einem Festival. Ich werds auch nicht gleich im nächsten Jahr wieder tun. Wohl auch nicht in den nächsten 10. Aber für einen Abend nach 25 Jahren war es gut, da gewesen zu sein.

Und dann Omega . Die Freundin meint, die hätten auch deutsch gesungen, früher, korrigiert sich aber gleich, dass sie sich auch täuschen könne. Ich kenne die nur ungarisch. Und den einzigen deutschen Text, den ich von ihnen kenne, hat Frank Schöbel gecovert, und später habens die Scorpions noch mal in Englisch gesungen. Aber das Original, das ist Omega. Ungarn

Ach übrigens, als ich dann unten vor der bühne stand, stellten sich natürlich, genau als Omega kam, große Menschen vor mich. War ja klar.

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20 Kommentare leave one →
  1. August 31, 2014 6:14 pm

    puh, dein bericht geht so richtig zu herzen! die musi hör ich mir später mal an. toll daß du da warst!

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  2. August 31, 2014 7:08 pm

    Oha. Die Inch im ostalgischen Nachkonzertfieber 😉
    Ich lerne gerade, dass die schlappen Monate, die uns alterstechnisch trennen, für einen anderen Musikgeschmack sorgen. Omega kenne ich nur dem Namen nach, auch bei den Roten Gitarren habe ich grad nix im Ohr. Karat, nun ja. Immerhin habe ich ´ne Platte von denen im Schrank. Aber ich kann verstehen, wie Du Dich gefühlt hast. Kann es nachvollziehen, dass man im „Rudel“ Gleichgesinnter in einen Rausch gerät.

    (Immerhin sind Dir Frau Fischer und Frau Freudenberg & die Gruppe Elefant wohl erspart geblieben.)
    Folkländer, Wacholder und Liedehrlich – das wäre was für mich gewesen. Und City. Die sowieso.

    Ach ja, und Muck war bei uns letzte Woche Thema. Sein Opa war in Rähnitz Lehrer meiner Schwiegeroma. Wir haben uralte Schulfotos mit dem Lehrer Gerlach drauf angesehen.

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    • August 31, 2014 7:20 pm

      Hallo Frau Tonari, wie ich ja schrieb, waren die meisten Bands nicht die, die ich früher hörte. Außer Omega. Trotzdem kannte man ja die Musik, so wie auch die von Freudenberg und Co. Ich stand eher so auf Sachen von Feeling B., Herbst in Peking, Hans die Geige, auch Pankow, die Freunde der Italienischen Oper sowieso und bevor die auf der Bildfläche erschienen eben, wie oben beschrieben, Renft, Magdeburg und Elektra. Übrigens waren auch einige Polnische Musiker dabei wie SBB oder Jozef Skrzek. Das ist natürlich meilenweit von Folkmusik entfernt.
      Trotzdem, die anderen Bands haben uns Lieder geschenkt, die wir mitsingen könne, ohne schlechtes Gewissen, so wie wir Volkslieder singen. Ich hatte gedacht, dass ich das auch so rüber gebracht habe.

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      • August 31, 2014 7:22 pm

        Aber ich vermutete ja, dass mich im Osten geborene durchaus für bekloppt halten könnten 😉

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      • August 31, 2014 7:34 pm

        Ich bitte darum, nicht missverstanden zu werden.
        Dein Ansinnen kam in meinen Leseuagen gut rüber.
        Ich habe nur entdeckt, dass ich einige der Musiker nicht kenne. Vielleicht weil ich die entscheidenden Monate zu *räusper* jung bin.

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        • August 31, 2014 7:48 pm

          Oh nein ja, es ist alles gut. Und ein paar Monate können wirklich die Welt bedeuten 😉
          Was aber auffällt, natürlich sagen mir Liederjahn und so Kram auch was, aber ich hörte gänzlich andere Musik. So zwischen Renft und Pankow hatte ich ja auch eine ganz lang anhaltende Bluesphase. Und dann gabs da ja auch noch so Sachen wie Karat, oder ganz schlimm die P…, von so Bands wie Wir oder Kreis ganz zu schweigen. So grau der Alltag also war, die Musikszene war offensichtlich gut bestückt.

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          • August 31, 2014 7:55 pm

            Dadurch, dass der beste Mitstudent von allen prächtig klampfte, haben wir viel Folk gehört (und textsicher gesungen).
            Ansonsten orientierte sich der Musikgeschmack eindeutig weiter westlich. You know?!

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  3. September 2, 2014 6:28 am

    HIer schreibt der Westsozialisierte: ein beeindruckender Bericht, liebe Inch. Gänsehautbericht.
    Versteht sich, dass ich viele Namen erst nach dem Untergang der demokratischen Republik kennengelernt habe. Die Namen, nicht die Musik. Da kenne ich heute noch kaum welche.
    ABER: Omega, die kenne ich schon lange. Und seit über 30 Jahren begleitet mich eine Scheibe von ihnen, Omega 3 von 1973…

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    • September 2, 2014 7:47 pm

      Ja, danke. Und Omega, ich glaube, so viele kannten die nicht. Und Das Mädchen mit den Perlen im Haar dürfte wirklich eher durch die Scorpions bekannt sein. Die hatten aber einen vollkommen anderen Text. 1973. Omega 3. Mönsch, die sind wirklich steinalt, die JJungs

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      • September 3, 2014 9:07 am

        Die waren schon auch uns Wessihörern bekannt. Die Omega 3 war überdies in Englisch gesungen…

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  4. September 2, 2014 12:51 pm

    „Ich glaube, der TÜV weiß gar nicht, wo Kamenz liegt.“

    Mein Lieblingsspruch *g*
    Ansonsten finde ich das alles sehr stimmungsvoll geschrieben und sehr nachvollziehbar, auch wenn ich wohl ein paar Jährchen jünger bin 😉

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  5. September 3, 2014 11:52 am

    Danke für diesen Bericht!
    Ich bin ca. ein Jahrzehnt jünger. Damit sagten mir Omega und die Roten Gitarren gar nichts – dafür Karat und Puhdys (die ich gern höre – so verschieden sind die Geschmäcker), aber das Gefühl kann ich nachvollziehen.

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