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Religionsunterricht

August 30, 2014

Ulan-Ude, 15. Juli 2014, ein Dienstag

Wieder erwartet uns so ein heißer Tag. Im Hotel wird uns das Frühstück im Zimmer serviert. „Butterbrot“, so heißen belegte Brote auf Russisch, Muffins, Ei, Kaffee. Letzterer natürlich Instant.

Wir laufen zum Busbahnhof. Übrigens fallen mir hier in Ulan-Ude zum ersten Mal, wie soll ich sagen, sozial benachteiligte Menschen auf. Nicht unbedingt Obdachlose, eher so Alkoholiker. Nicht dass sie betrunken wären, aber sie sehen ziemlich heruntergekommen aus. Arm. Hoffnungslos. Nun haben wir in anderen Städten auch arme Menschen gesehen, und Bettler. Aber hier sind es auffällig viele. Und sie betteln nicht einmal mehr. Und noch etwas fällt auf: Es sind hauptsächlich Burjaten.

Später, in Wladiwostok, wird sich herausstellen, dass der Cousine das nicht aufgefallen ist, auch nicht, dass es hauptsächlich Burjaten sind. Eine andere Transsibreisende, die wir dort treffen werden, wird sagen, dass diese Leute sie sehr an die Indianer in Nordamerika erinnert haben. An Menschen, deren Kultur zerstört wurde. Je mehr ich darüber nachdenke, um so mehr muss ich mir zustimmen. Wobei die Burjaten, die wir auf den Dörfern trafen, einen zufriedenen Eindruck machten.

In Ulan-Ude sehen wir auch viel mehr streunende Hunde als anderswo. Allerdings bin ich mir nicht wirklich sicher, ob die herrenlos sind. Dazu sehen sie einfach zu gepflegt aus. Vielleicht lassen ihre Besitzer sie ja tagsüber einfach raus, statt sie in Höfe oder gar Wohnungen einzusperren. Mit den Kühen machen die das ja auch so, also das raus lassen, nicht das in der Wohnung einsperren.

Als wir in Iwolga aus der Marschrutka 130 hüpfen, begegnen uns gleich ein paar. Kühe.

Die Cousine, die sich ja wie gewohnt erst während der Reise zu interessieren beginnt, zweifelt in der Marschrutka an meinen organisatorischen Fähigkeiten und will jetzt und unbedingt den Reiseführer haben. Kann ja nicht stimmen, was da drinnen steht. Ich atme einfach tief durch und schaue mir die Landschaft an. Wie auf Olchon ist es um die Orte herum sehr kahl, als hätte man alle Bäume abgeholzt und das Land würde versteppen. Natürlich sind alle Häuser in den Dörfern aus Holz.

Immerhin, die Cousine hat eine Tante dazu gebracht, uns die richtige Marschrutka, die die Besucher die letzten Kilometer zum Dazan bringt, zu zeigen. Da müssen wir nicht unnötig suchen. Allerdings verpassen wir dadurch leider auch die Möglichkeit, evtl. etwas von dem Dorf zu sehen. Andererseits ist es bei der Hitze gut, schnell voran zu kommen.

Obwohl es ein Kassenhäuschen gibt, ist der Eintritt frei.

Ansonsten, ein buddhistisches Kloster eben. Mit Tempeln und Reliquienschreinen, mit Gebetsmühlen, auch ausrangierten, mit Mönchen und einem Lama, mit Besuchern und Gläubigen. Schauen Sie sich einfach die Bilder an.

In einem der Tempel erzählt uns eine alte Frau alles zum Kloster, und zu den Lamas. Der 12. wurde nämlich 1852 geboren, er starb im Lotussitz. Doch bevor er das tat, verkündete er, dass er in 75 Jahren wiederkäme. Also buddelten die Mönche ihn nach 75 Jahren wieder aus und siehe da, der Typ war kein bisschen verwest. Nur die Sachen waren etwas ramponiert. Also zogen sie ihm neue an und setzten ihn in einen eigenen Tempel. Einmal im Jahr wird er durchs Kloster getragen. Sonst ist er nicht zu besichtigen. Aber die alte Frau zeigt uns die Jurte des derzeitigen Lamas und meint, wenn wir fragten, dürften wir bestimmt mal gucken. Machen wir aber nicht. Mein Bedarf an Toten ist mit Lenin gedeckt.

Stattdessen essen wir lieber was. Und nun endlich kann ich Ihnen ein Foto der geliebten Buusy zeigen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie ich die vermisse. Mehr als die Piroggen. Von letzteren habe ich wenigstens ein Rezept gefunden. Aber Buusy? Nada. Also, sollten Sie einen Burjaten in der Verwandtschaft haben, nähme ich Ihnen gern das Rezept ab. Danke.

Es ist unglaublich, wirklich unglaublich heiß. Und nirgends Schatten. Ich erstehe zwei Gebetsfähnchen, eins für mich und die Familie, notiere mir genau, wie und wo ich die aufhängen muss, dann fahren wir zurück in die Stadt. Noch Mal Lenin gucken und am Springbrunnen gibt es klassische Musik mit Wasserspielen. Einfach so. Ich nehme das sogar auf, mit der Taschenknipse, aber bei meinem technischen Talent könnte ich Ihnen jetzt Wasserspiele präsentieren. Die klassische Musik müssten Sie sich selber denken.

Heute finden wir den Markt und als wir den gerade betreten wollen, ist die Cousine plötzlich verschwunden. Ich bleibe erst stehen, in der Hoffnung, sie bemerkt meine Abwesenheit und kommt zurück. Dann fange ich an, das Gelände weiträumig abzusuchen. Ich überlege, ob ich einfach einkaufe und ins Hotel laufe. Da wird sie schon irgendwann auftauchen. Aber das gibt sicher Ärger und wir müssen noch ein paar Tage zusammen aushalten, also begebe ich mich wieder dahin, wo ich sie zuletzt gesehen habe, rauche und warte. Dann sehe ich sie. Schnatternd steht sie in einem Landen, in dem Schuhe aus Rentierfellen verkauft werden.

Ich bin ziemlich angefressen.

So wackeln wir über den Markt.

14 Kommentare leave one →
  1. August 30, 2014 4:35 pm

    😉 bei uns heißt angefressen sein voll begeistert sein … hihi … feiner bericht aus dem fernen osten.

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    • August 31, 2014 4:01 pm

      Ehrlich? Da solltest Du vorsichtig sein, wenn Du mal hier in der Gegend bist. Nicht, dass Du missverstanden wirst.

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  2. August 30, 2014 9:20 pm

    Täusche ich mich, oder haben diese Buusy tatsächlich irgendwie eine entfernte Ähnlichkeit mit Maultaschen? 😉
    Mann, da wäre ich auch angefressen gewesen, wenn meine Reisebegleitung auf einmal mir nichts dir nichts verschwunden wäre! :-/
    Halte mich bitte nicht für pervers, aber ich hätte mir den toten Lama schon angesehen… :mrgreen:

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    • August 31, 2014 8:25 am

      Auch, wenn die 14 Tage vorher vorm toten Lenin gestanden hättest? Oh je

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  3. August 30, 2014 10:49 pm

    Auf das Gebahren des Cousinchens hätte ich auch zunehmend angefressener reagiert.
    Verständlich, wenn es dich nervt.
    Buusy ähneln den chinesischen Dim Sum gar sehr. Zumindest optisch. Vielleicht guckst Du mal nach den Rezepten im Netz.

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  4. August 31, 2014 7:20 pm

    Das allererste Foto – es könnte in Südamerika genau so aufgenommen worden sein…
    Ich erstaune manchmal, wie ähnlich sich Landschaften und Siedlungsformen sein können…

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  5. September 10, 2014 5:24 pm

    Das sieht schon sehr viel asiatischer aus dort (was ist das denn für Zeugs auf dem dritten Foto? Buddhistische Feuerlöscher?) und die Buusy ähneln optisch wirklich sehr Dim Sum, wäre garantiert auch für mich etwas gewesen, mjam.
    Und was ist Kymus? So etwas wie Ayran? Google meldet mir da nur so unappetitliche Sachen, da habe ich lieber nicht weiter geforscht.

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    • September 15, 2014 9:00 am

      Hihi, das sind kaputte Gebetsmühlen. Ob zur Reparatur beiseite gelegt oder Schrott, weiß ich allerdings nicht zu sagen. Ayran kenne ich nicht. Kymus ist vergorene Stutenmilch. In Kasachstan und Kirgisien fand ich die frisch recht lecker. Allerdings nur bis ich den Behälter sah, in dem sie vor sich hin gärte. Hier kam sie aus Flaschen und dem Kühlregal und schmeckte eigentlich nur wie sehr saure Milch.

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      • September 15, 2014 9:02 am

        Google? Ich habe da gar keinen EWrklärung zum Kymus gefunden. Nur so anderen Kram. Die kennen das nicht. Tante G kennt Kymus nicht! Man muss schon Kymus Stutenmilch eingegebn, damit sich die Tante zurechtfindet

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        • September 18, 2014 8:08 pm

          Achja, die Gebetsmühlen waren auch auf anderen Fotos schon zu sehen, ich erinnere mich. Und Kymus muss ich nicht haben schätze ich, ich erinnere mich an die ersten Urlaube meiner Kindheit, in der Pension im Allgäu gab es frische Kuhmilch zum Frühstück. Milch mit Geschmack sozusagen, hat mich völlig traumatisiert 😀

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