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Touristenkram, ein altes Viertel und Erinnerungen an einen Roman

Juli 30, 2014

Moskau, Montag, 30. Juni 2014

Der Freund von Freundin Nr.2 hat uns empfohlen, auf der Moskwa langzuschippern.

Also fahren wir am Montag ganz allein in die Stadt (die Freundinnen und deren Freunde sind ja auch arbeiten) und zum Kiewer Bahnhof. Mit der Metro. Die Metro, das ist ja auch eine der Sehenswürdigkeiten Moskaus. Deswegen wird es dazu einen extra Blog geben. Ich habe nämlich fleißig fotografiert. Allerdings mit der Taschenknipse. Und meistens musste das sehr schnell gehen, weil ich irgend jemandem hinterher gehastet bin. Vor allem wenn Freundin Nr. 1 mit uns unterwegs war, musste ich mich auch ohne Knipserei sputen, den Anschluss nicht zu verlieren. Last but not least steht frau natürlich auch immer jemandem im Weg, wenn sie da in der Metro fotografiert. Und die Russen, das wissen wir ja schon, haben es immer eilig. Und die Moskauer, da unterscheiden sie sich nicht von anderen Hauptstädtern, haben es noch ein bisschen eiliger als die aus der Provinz.

Also Kiewer Bahnhof. Dem Untergrund entkommen, die Fahrt dauerte immerhin so eine Stunde, brauche ich erst Mal eine Zigarette. Aber es zeigt sich, dass die Russen diesbezüglich noch ein bisschen schlimmer sind als die Amis. Jedenfalls an manchen Orten. (Ich habe bis zum Schluss nicht herausfinden können, wo Verbote nur auf dem Papier stehen und wo auf deren Einhaltung strengstens geachtet wird). Zwei Ordnungshüter weisen mich auf das Verbot hin. 5 m entfernt steht aber ein öffentlicher Mülleimer, da darf ich.

Heute ist es schon fast ein bisschen zu warm. Da kommt so eine Bootsfahrt gerade richtig.

Am Ufer angelangt, guckt die Cousine gar nicht lange rum, fragt, wir kaufen die erstbesten Karten und landen auf einem etwas nobleren Schiff. 3 Stunden dauert die Fahrt, die etwa bis Neujungfrauenkloster geht und dann wieder zurück.

Es gibt jede Menge Sehenswürdigkeiten zu sehen, auch den Kreml und den Roten Platz. Aber auch zum Beispiel die Lomonossow- Universität, eine der „Sieben Schwestern“, die Schokoladenfabrik Rotfront, den Gorki-Park, das Stadion, noch eine der Sieben Schwestern und natürlich das ungeliebte Peter-der-Große-Denkmal. Die 96 m hohe Statue steht seit 1997 auf einer künstlichen Insel in der Moskwa, direkt da, wo ein Kanal abzweigt. Man muss kein großer Russlandkenner sein, um zu verstehen, dass die Moskauer ein Denkmal dieser Größenordnung für einen Zaren, der ihre Stadt 1710 als Hauptstadt durch St. Petersburg abgelöst hatte, nicht besonders mögen. Es soll sogar zahlreiche Bürgerinitiativen gegen die Aufstellung des Monuments gegeben haben.

Nach der 3- stündigen Fahrt laufen wir über eine futuristisch anmutenden Fußgängerbrücke zum Arbat. Da wollte ich unbedingt hin. Der Arbat ist ein um die gleichnamige Straße liegendes Wohnviertel im historischen Zentrum der Russischen Hauptstadt. Es besteht seit dem 15. Jahrhundert, aber im 19. und Anfang des 20. Jahrhundert lebten dort viele Intellektuelle und Künstler, mittlerer Adel und höheres Bürgertum. Anatoli Rybakows wunderbares Buch „Die Kinder vom Arbat“ spielt da, allerdings in der Stalinära, in den 30er Jahren. Da will ich hin, auch wenn viele der alten Häuser in den 60er Jahren dem Wohnungsneubau zum Opfer fielen.

Nun ja, der Arbat, die Straße, ist eine Touristenattraktion, voll gentrifiziert. Nur noch vereinzelt finden wir die Reste eines abgerissenen Hauses, obwohl ich die Cousine wirklich in jede Seitenstraße, auf jeden Hinterhof zwinge. Immerhin, einige „lebende“ Hinterhöfe finden wir noch. Und Rybakows Wohnhaus, auch das, in dem Puschkin lebte.

Im Viertel betteln viele alte Leute. Die sehen nicht obdachlos aus, nur eben arm. Ein Mann, den ich für so ein Opfer der Sanierung halte und von dem ich glaube, dass er seine Bibliothek verkauft, entpuppt sich als ehemaliger Arzt im Kreml. Er kennt sie alle. Er hat auch Bücher geschrieben und würde der Cousine gern die Verlagsrechte in Deutschland für 5000 Rubel, vielleicht waren es auch 50000, verkaufen. Ich rede mir die Zunge wund, um ihr den Mist auszureden. Neben seinen eigenen Büchern verkauft er auch Karten fürs Bolschoj, als Veteran kommt er da billiger ran.

In einem „Kaffeehaus“ warten wir auf Freundin Nr.1. Die meisten traditionellen Restaurants wurden längst durch Ketten abgelöst. Einheitsbrei. Russische Küche? Fehlanzeige. Nur zwei Kartoschka- Filialen und ein Mumu, russische Fastfoodketten, konnten sich halten. Auch Freundin Nr. 1 weiß nicht, wo man hier Russisch essen könnte. Das Ukrainische, das es laut Reiseführer noch geben sollte, ist jetzt ein „Donut“, das „Shigulli“ am neuen Arbat ist der Cousine zu dunkel. Ich gebe nicht auf und finde schließlich ein Usbekisches Restaurant, das Vostotchnij Kwartal. Dort, ganz in der Nähe, lese ich im Reiseführer, soll es ein Architekturdenkmal geben, das Melnikow-Haus, ein Bau im Stil der klassischen Moderne. Ich nutze eine Rauchpause, das Haus zu finden, doch es versteckt sich hinter einem hohen Zaun. Und die Bäume im Garten verhindern jeden Blick. Streitigkeiten mit den Erben und ein etwas wackliges Fundament sollen die Ursache dafür sein, dass dieses Beispiel der Russischen Avantgarde der Öffentlichkeit vorenthalten wird. Eine Sanierung würde nämlich immense Kosten verschlingen, vor allem aber müsste das Fundament stabilisiert werden.

Nach dem Essen begleitet uns Freundin Nr. 1 zu Freundin Nr.2. Sie will uns morgen zum Bahnhof bringen. Wenn sie beginnt, unsere Reise mit der Transsib. Zum Abschied feiern wir ein bisschen.

 

16 Kommentare leave one →
  1. Juli 30, 2014 8:06 pm

    „Die Kinder vom Arbat“ habe ich auch verschlungen.
    Kennst Du auch „Die Jahre des Terrors“?

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    • Juli 31, 2014 6:24 pm

      Leider nicht. Auch nicht Stadt der Angst, den 3. Teil. Die Bücher gibt es ja leider nur noch antiquarisch und der Preis für den 3. Teil beginnt bei 30€. Es gibt übrigens noch einen 4. Teil, der aber nie ins Deutsche übersetzt wurde.

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  2. Juli 31, 2014 6:19 pm

    Diese sozialistischen Protzbauten fand ich immer sehr abschreckend, aber die 7 Schwestern haben was (wenn ich auch die 7 Schwestern in Norwegen vorziehen würde)

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    • Juli 31, 2014 6:26 pm

      Also ich finde die schön. Kann aber daran liegen, dass ich damit aufgewachsen bin. In Leipzig haben wir ja auch so paar Stalinbauten, nur nicht so riesig. Und schöner als Plattenbauten sind sie allemal

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      • Juli 31, 2014 6:28 pm

        Ich habe jetzt auch geguckt, was oder wer die 7 Schwestern in Norwegen sind. Interessant. allerdings war ich dummerweise schon in Island, und seitdem kommen mir Wasserfälle so winzig vor 😀

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  3. Juli 31, 2014 9:41 pm

    Danke für den lebendigen Bericht und die tollen Fotos. Besonders wegen dem Arbat und den 7 Schwestern wäre ich bereit, alle meine Vorurteile in der hintersten Russlandvorurteilsschublade verschwinden zu lassen und Moskau zu besuchen. 😉

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    • Juli 31, 2014 10:13 pm

      Ich wollte grad sagen, sag aber der Tourismusbehörde Bescheid, dass ich Schuld bin, vielleicht gibts ja ne Prämie. Aber dann war ich mir nicht sicher. Könnte ja sein, dass Du unangenehme Fragen stellst und dann gibts keine Prämie

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  4. Juli 31, 2014 10:45 pm

    Ich habe eine ziemlich dumme Frage: Was ist das bitte für eine riesige Rutsche, ganz oben rechts?

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    • Juli 31, 2014 11:36 pm

      Das ist eine Skischanze. Ich fand es verblüffend, so mitten in der Stadt

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  5. August 1, 2014 8:25 pm

    nach der „rutsche“ wollte ich auch fragen. deine berichte und fotos sind ganz wunderbar, vielen dank!!! fotos in groß gucken muß ich noch, ich freu mich schon drauf, hab aber wenig zeit zur zeit. liebe grüße

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