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Lenin ist ein kleiner Mann

Juli 29, 2014

Moskau, Sonntag, 29.Juni 2014

Für mich steht das heutige Programm schon lange fest. Roter Platz, Lenin gucken, Kreml und den Arbat. Und natürlich will ich den Ostnomaden treffen. Aber der reagiert nicht auf meine SMS.

Freundin Nr. 2 fährt uns mit dem Auto zur Moskwa. Das sieht auch am hellen Tag nicht besser aus als gestern Nacht. Als sie uns in Sichtweite des Roten Platzes absetzt, rufe ich den Ostnomaden an. Eine freundliche Stimme erklärt mir, dass es die Nummer nicht gibt.

???

Falsch abgeschrieben? Falsch eingetippt? Cousine, ich brauche W-Lan.

Aber erst Mal gucken wir uns den Roten Platz an. Es ist ja ein bißchen kühl in Moskau, nicht so kalt wie gestern, aber eben kühl. Und es ist auch noch ziemlich früher Vormittag. Da sind noch gar nicht so viele Touristen da. Es sind geradezu wenige. Ob das am Wetter liegt oder an der Uhrzeit, weiß ich nicht.

Wir starten mit der Basilika. Die hat ja wohl jeder schon mal gesehen, auf irgendeinem Bild oder in einer Fernsehdokumentation. Die Kirche aus dem 16. Jahrhundert schließt den Roten Platz Richtung Moskwa ab, also die schmale Seite des Platzes. Wussten Sie übrigens, dass Roter Platz nichts mit Politik zu tun hat, also der Name rot? Auch nichts mit den roten Kremlmauern, die früher weiß waren. Vielmehr gab es früher im Russischen nur ein Wort für schön und rot: Krasny. Aber wie das so mit Sprachen ist, entwickeln sich diese weiter, krasny wurde umgangssprachlich bald nur noch für rot verwendet und aus dem Platz, der früher eigentlich Schöner Platz hieß, wurde der rote.

Aber zurück zur Basilika. Wie gesagt, jeder kennt und erkennt sie sofort. Aber innen waren wohl die wenigsten. Ich auch nicht. Also, Zeit das zu ändern. Und das innere ist verblüffend. Die Kathedrale besteht aus 11 Kapellen, die auf 2 Stockwerke verteilt sind. Nachdem wir an der ersten, die für Besucher gesperrt ist und durch eine Glasfront abgetrennt ist, durch die wir einen Gottesdienst beobachten können, vorbei sind, irren wir quasi durch dunkle Gänge von Raum zu Raum. Wände und Decken sind über und über bemalt, da ist kein weißer Fleck. Nirgends. Viele der Wandmalereien scheinen für immer verloren, viele sind restauriert. In manchen Kapellen stehen riesige Ikonostasen, in anderen nur eine Bank. Irgendwo singt ein Chor. Man könnte den ganzen Tag hier verbringen und würde immer noch etwas entdecken. Aber wir müssen weiter.

Zum Mausoleum. Von Freunden weiß ich, dass Lenin nicht mehr täglich arbeitet. Das soll mir nicht passieren, dass ich hier einen seiner Ruhetage erwische. Als wir aus der Basiliuskathedrale treten, sieht der Platz auch so aus, wie man das an einem Sonntag erwartet. Er ist rappelvoll. Wir müssen ihn komplett überqueren, um dorthin zu gelangen, wo man sich anstellt. Inzwischen ist es auch nur noch im Schatten etwas kühl. Schatten ist natürlich nicht, aber dafür ist die Schlange nicht so groß, wie man das aus Sowjetzeiten gewöhnt ist. Nicht, dass ich da schon mal angestanden hätte, aber Fernsehen und Berichte über Moskau gabs schließlich schon früher. Sogar in der DDR.

Nach einer halben Stunde sind wir, nein, noch nicht im Mausoleum, sondern auf dem Gelände. Also, da sind nämlich jede Menge Leute an der Kreml-Mauer begraben. Und an denen läuft man erst Mal vorbei. Gegenüber der Mauer sind auch Gedenktafeln. Weiß der Geier, ob da auch Leute liegen. Ich habe keine Zeit. Ich.will.jetzt.Lenin.sehen. Lenin arbeitet nur noch 10-13:00 Uhr und auch nicht montags und freitags und es ist Mittag, zum Glück Sonntag.

Gerade als ich das Mausoleum betrete, läuten Kirchenglocken und die Cousine rennt irgendwo anders hin, um dem Glockenspiel zu lauschen.

Ganz großes Kino! Ich habe nämlich eine Makula Degeneration, was u.a. bedeutet, dass, wenn ich bei Sonnenschein ein Haus betrete, ich erst Mal nichts sehe. Und das Mausoleum ist nicht einfach ein Haus. Das ist ein Mausoleum. Da drinnen ist es dunkel. Wahrscheinlich nur angemessen düster. Aber ich stehe im Finsteren. Ich glaube, dass besteht innen aus schwarzem Marmor.

Himmel.

Ich will gerade zurück ins Licht, da sehe ich einen Soldaten vor mir. Nein zwei. So Wachsoldaten. Die bedeuten mir nachdrücklich, mich nach links zu bewegen. Dort spiegeln sie sich im schwarzen Marmor. Ach nein. Das sind drei. Einer gestikuliert. Ich soll mich bewegen. Ja, Himmel, bitte, einen Moment. Ich bin blind. BLIND. Wo ist denn nur die Cousine? Warum muss die immer wegrennen?

Vorsichtig bewege ich mich jetzt nach rechts. Ich würde mich gern an den Wänden entlang tasten, aber ich glaube, die mögen das nicht. Die Wachsoldaten, meine ich. Jetzt ist hier auch noch eine Treppe. Und wer hatte nur die Idee, das Ding innen mit schwarzem Marmor zu verkleiden? Wo es doch eh schon dunkel ist? Jetzt geht es wieder rechts rum. Und ja, jetzt erkenne ich den Gang.

Oh Gott! Jetzt wäre ich fast hinter Lenin lang gerannt. Die Wachsoldaten beobachten mich misstrauisch. Ich glaube, die halten mich für bekloppt. Die Treppe rauf und da liegt er links.

Huch, ist der klein! Also wirklich. Ich laufe so langsam es erlaubt ist um den offenen Sarg herum. Der Lenin, der ist nicht nur klein, der ist auch ganz zart. Filigran, feingliedrig. Wirkt zerbrechlich. Seine Hände fallen mir auf, die sind geradezu Kleinmädchenhaft. Ach Herrje. Er sieht aus wie eine Puppe, was sage ich, ein Püppchen!

Der Ausgang ist etwas heller. Oder ich habe mich an die Dunkelheit gewöhnt. Immer noch erschüttert von der Winzigkeit dieses Mannes laufe ich an der Kreml-Mauer lang. Ach siehe da, der Stalin. Ob der auch so winzig war? Und Schukow. Also der war bestimmt größer. Jetzt muss ich aber mal paar Fotos machen. Da scheucht mich ein Soldat. Fotos verboten. Auch hier draußen. Aber den Gagarin, mit der Taschenknipse???

Draußen warte ich auf die Cousine. Gleich gegenüber des Mausoleums steht das GUM. Vom Kaufhaus gelangen wir in eine Fußgängerzone und essen in einem Kartoschka. Die Cousine erzählt und erklärt. Wie es früher aussah und wie die Russen so sind und was da ist und dort. Sie ist hier ganz zu Hause.

In einem Hinterhof entdecke ich eine Kirche. Dann ist wieder Programm. Ewige Flamme und Kreml.

Wir machen uns so unsere Gedanken um die Heldenstädte, ja, und was soll ich zum Kreml sagen? Schauen Sie einfach selber. Eine Kirche scheint schöner als die andere und doch habe ich schnell zwei Favoriten. In der einen sind die Ikonen aus Holz geschnitzt, statt gemalt. Das habe ich noch nie gesehen und ist mal was wohltuend anderes. Wenn man nämlich an einem Tag durch etwas mehr als ein halbes Dutzend Kirchen läuft, kann man all die Schönheit irgendwann nicht mehr aufnehmen. Da tut Abwechslung gut. Und dann ist da noch die mit den wie in Reih und Glied nebeneinander aufgestellten Türmchen. Innen darf man hier allerdings nirgends fotografieren.

Wieder draußen finden wir endlich ein Café mit W-Lan und ich schicke dem Ostnomaden eine Email. Dann ruhen wir uns aus. Uns erwartet noch ein Höhepunkt.

Freundin Nr.1 hat uns in den Zirkus eingeladen. Russischer Zirkus! Das beste, was es gibt. Es ist der Moskauer, der, den Juri Nikulin, der Clown, geleitet hat. Seit seinem Tod ist sein Sohn der Direktor.

Es ist atemberaubend. Grandios.

Nur die Raubtiernummer ist gnadenlos schlecht. Es scheint ja modern zu sein, als Künstler nebenbei noch ein bisschen rumzuhampeln. Da wird nicht nur die reine Artistik gezeigt, sondern auch irgendwas ausgedrückt. Ein bisschen Tanz hier, ein bisschen Tanz da. Als solle eine Geschichte erzählt werden. Bei den Tigern und Leoparden allerdings wirkt das deplatziert. Gerade, als würden die Katzen vorgeführt. Lächerlich gemacht. Eigentlich ein Fan der Dressur empfinde ich das hier zum ersten Mal nicht nur als widernatürlich, sondern geradezu als Tierquälerei.

16 Kommentare leave one →
  1. Juli 29, 2014 10:08 pm

    Basilus – ich war ebenso entzückt und wollte kaum wieder raus. Leider herrschte Reisegruppenzwang und dessen zeitliche Einordnung.
    Lenin hatte immer zu, wenn wir in seiner Nähe waren. Vermutlich haben wir nichts verpasst. Ich hab es eh nicht so mit Wachsfiguren. Auch nicht mit denen der Madame Tussauds. 😉
    Kreml sonst – auch sehr imposant. Vor allem weht einen ständig Geschichte an.
    Und tolle Bilder hast Du mitgebracht.

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    • Juli 30, 2014 6:54 pm

      Oh Reisegruppenzwang ist bei so was echt Mist. Wir hatten auch am Baikal Mitleid mit eben diesen. Ich mag Madame Tussaud und Wachsfiguren auch nicht. Aber so ein echter Lenin, wenn man schon mal da ist, und nach all den Leninismusvorlesungen, da musste ich schon mal gucken, wem ich das zu verdanken habe

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  2. Juli 30, 2014 8:09 am

    Mal sehen, ob ich den Förster irgendwann mal von Russland überzeugen kann. Es würde mich trotz aller Politik schon mal reizen.

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    • Juli 30, 2014 6:55 pm

      Politik hat ja oft eher mit den Regierungen zu tun, auch wenn diese gewählt sind. Trotzdem war Politik ein großes Thema. Je östlicher wir kamen. Aber dazu später.

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  3. Juli 30, 2014 9:54 am

    Ein toller Bericht. Und dass der Kreml so riesig ist, wusste ich bis heute auch noch nicht. Was den Lenin betrifft: viele historisch „grosse“ Personen waren körperlich wirklich eher klein.
    Deine Fotos gefallen mir wieder gut!

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    • Juli 30, 2014 6:57 pm

      Ich habe auch sofort an das Kleine-Mann-Syndrom gedacht.
      Ja.
      Und der Kreml… wir haben ja nicht mal alles gesehen, weil natürlich ein Großteil für Besucher gesperrt ist

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  4. Juli 30, 2014 2:57 pm

    und der putin, wo liegt, äähhh, sitzt der??

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    • Juli 30, 2014 3:23 pm

      Im Kreml. Wo sonst? Ich habe ihn aber nicht getroffen und kann daher keine Aussage über seine Größe machen. Also rein körperlich

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  5. Juli 30, 2014 5:05 pm

    Der Gagarin ist doch sicher der links neben den Herren Bopohop und Komabop (doller Name *g*) oder?
    Der Kremlpalast sieht ein wenig aus wie Kaufhaus Hertie in Barmbek, aber der Rest: Wow. Sehr goldverliebtzwiebelig das ganze Dachgedöns, auf so etwas stehe ich ja, schade dass man fast überall nicht mehr drinnen fotografieren darf. Und Donuts in Moskau, wenn der Stalin da man nicht im Grab rotiert…die gefüllte Kartoffel(?) wäre mir jedenfalls lieber.

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    • Juli 30, 2014 7:05 pm

      Genau, links neben Woronow und Komarow. Ich bin beeindruckt von Deinen Fähigkeiten, die Russischen Sprache zu lesen 😀 Und den Kreml-Palast, den täte ich abreißen lassen, wenn ich für den guten Geschmack verantwortlich wäre. Und das Essen sind Kartoffeln mit, ich glaube, es war Quark und Käse. Und Gemüse. Die haben wir in einem Kroschka- Kartoschka geholt, eine Art russische Fastfood Kette, wo es mit diversen Salaten gefüllte Kartoffeln gibt. Diese Kette scheint ziemlich populär zu sein, jedenfalls haben wir da mehr Filialen als von Mc Doof gesehen

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      • Juli 30, 2014 10:33 pm

        Wenn das eine russische Erfindung ist hat man die schon erfolgreich geklaut, hier nennen sich die Dinger Kumpir und sind auch sehr viel leckerer als McDoof, nur (leider) noch nicht so zahlreich.

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  6. Juli 30, 2014 7:25 pm

    Danke für die tollen Berichte und Fotos!

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  7. Juli 30, 2014 8:49 pm

    … ja, das mit den sms aufs Mobiltelefon ist wirklich sehr schade gewesen. Und dann war ich weg.
    Kreml- Palast von innen ist so ungefähr wie Dresdner Kulturpalast, nur grösser. Und Ersterer wird nach wie vor genutzt. Ist ein bissel wie Kessel Buntes live …

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  8. Juli 31, 2014 11:09 pm

    Wahnsinn! 😀 Ich kann gar nicht aufhören, in deinen Bildern zu schwelgen…
    Der Gorbatschow ist übrigens auch recht klein, ich durfte ihn im Restaurant der Bayerischen Staatsoper mal bedienen – vor vielen, vielen Jahren… 😉

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