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Stolper(wander)tag 1 – tief im Norden

Oktober 10, 2013

Auf der Suche nach einem Stadtplan stellte ich fest, alle drei Reiseführer, die ich hier für bedürftige couchsurfer bereit liegen habe, enden am Chausseehaus. Das gehört eigentlich noch zum Zentrum, dem nördlichen Teil zwar, aber eben Zentrum. Es scheint also so, dass nicht nur ich über gewisse Kenntnislücken im Norden verfüge.

Statt mir also die Punkte auf eine Karte einzutragen, schrieb ich eine Liste, suchte die nächste Straßenbahnhaltestelle raus und vertraute im übrigen auf das Smartphone.

Und dann, zwischen Straßenbahnhof Möckern und Annaberger Straße dachte ich, als ich aus dem Fenster schaute, da verpasse ich aber was, fuhr eine Haltestelle zurück und startete dort, am Historischen Straßenbahnhof.  Der ist leider nur sehr selten geöffnet. So kann ich nur durch die Gitterstäbe des eisernen Tores lunzen und einen Blick auf einige wenige der dort ausgestellten 45 Straßenbahnwagen aus den Jahren 1896 bis 1988 werfen. Ich müsste da noch mal herkommen, aber bei 5 Öffnungstagen pro Jahr werde ich es wohl auch im nächsten wieder verpassen. Doch auf dem Weg zwischen den zwei Haltestellen gab es nicht nur alte Straßenbahnen zu sehen. Sogar ein Wächterhaus fand ich und staunte, kannte ich die doch bis jetzt nur aus dem Westen der Stadt, freute mich über sehr ansprechende streetart, und die Fenster und Türen einer geschlossenen Kneipe in einem ziemlich unsanierten Haus dienten urban photographers als Ausstellungsfläche.  Die Straße selber wirkte an dieser Stelle auf mich wie ein altes Arbeiterviertel. Mietskasernen, teils saniert, teils zum Verkauf bereit. Auch heute scheinen hier nicht die betuchtesten Leute der Stadt zu wohnen.  Kneipen, Nagelstudio, An- und Verkauf, Imbissbuden und geschlossene Läden mit vernagelten Fensterscheiben. Und irgendwo dazwischen an einem leer stehenden Haus ein Schmuckstück von Eingangsportal.

In der Agnesstraße 2  liegt der  1. Stolperstein.

DSC_0042

Karl Helbig war Arbeiter, Kommunist, Antifaschist. Wegen seiner Aktivitäten kam er in Schutzhaft, wurde entlassen, wieder verhaftet, verurteilt, saß seine Strafe ab, wurde entlassen und  kam am  24.11.1942 im Alter von 31 Jahren im Zuchthaus Waldheim zu Tode.

Die Straße selber ist eine Sackgasse, hinter dem Grundstück am Ende fließt die Weiße Elster. Zwei sanierte Altbauten, zwei Neubauten, ein Stück unbebautes Brachland. In der Querstraße sanierte Häuser. Arbeiterwohnhäuser.

Ich laufe zurück auf die Georg-Schumann-Straße und weiter gen Norden.

Ein turmartiges Gebäude aus Backsteinen lenkt mich und vom Weg ab. In der Friedrich-Bosse-Straße stehe ich vor den Ruinen der Leipziger Färberei und Chemischen Reinigung.  Die Wohnhäuser gegenüber und links und rechts saniert. Ich frage mich, wie lebt es sich mit so einem Ding in der Nachbarschaft? Währenddessen fragen sich wohl die Anwohner, was ich hier treibe. Für jemanden, der in so Ruinen abhängt, sehe ich zu alt aus. (Ich hoffe nicht, zu solide).

Wieder zu Hause frage ich Tante G. und erfahre, die Leipziger Färberei und Chemische Reinigung existierte fast 100 Jahre, nämlich von 1899 bis 1991. Diese Info finde ich auf den Seiten zweier Immobilienfirmen… Und auf der website industriezerfall finde ich den von 2005 stammenden Hinweis, dass nur noch das Gebäude zur Straßenseite hin erhalten ist. Der Rest war schon vor 8 Jahren abgerissen.  Zu den Bildern von damals und vor allem von innen geht es hier entlang.

Zurück auf der Georg-Schuhmann-Straße laufe ich weiter gen Norden. Bis zum nächsten Stolperstein sind es etwas mehr als 2 km und dort, da bin ich ganz sicher, war ich im Leben noch nie.

17 Kommentare leave one →
  1. Oktober 10, 2013 7:55 am

    Danke für die Fortsetzung Deines Artikels. Die Bilder und der Text bieten ein gelungenes Gesamtbild. Ich folge besonders dieses Thema auf Deinen spannenden Blog!

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  2. Oktober 10, 2013 8:17 am

    Ich mag es auch, mit Dir virtuell durch LE zu streifen. Du öffnest die Augen für Dinge, die man sonst im Alltag schnell mal übersieht.

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  3. Oktober 10, 2013 12:28 pm

    Sehr interessante Einblicke in eine der tradtionsreichsten deutschen Städte. Gerne noch mehr davon 🙂

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  4. Oktober 10, 2013 2:42 pm

    Du kommst auch an keiner Industriebrache vorbei, gell? 😀
    Den historischen Straßenbahnhof zu besichtigen, habe ich bisher auch immer verpasst. Irgendwie muss ich das noch schaffen in diesem Leben.

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    • Oktober 10, 2013 8:26 pm

      Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich ein Schmuddelkind bin 😀
      Und den Straßenbahnhof… vielleicht versuchen wir uns nächsten Sommer gegenseitig zu erinnern???

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  5. Oktober 10, 2013 8:27 pm

    @all: Danke. Die Wanderung war auch für mich sehr interessant und selbstverständlich werde ich weiter darüber berichten

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  6. Oktober 10, 2013 10:52 pm

    Schade, dass Hamburg an der Stolpersteinputzaktion nicht teilnimmt. Und die alten Straßenbahnen haben wir hier auch behalten, nur leider keine Schienen mehr wo sie drauf fahren könnten. Dabei wäre so eine Strecke, an denen man an manchen Wochenenden historische Bahnen fahren lässt, sicher ein Zuschauermagnet.

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    • Oktober 12, 2013 10:55 am

      Hier fahren sie ja leider auch nur an den Öffnungstagen des Museums. Und das waren in diesem Jahr, wie gesagt, 5. Dabei sind sie immer ein echter Hingucker und ich wette, so mancher Besucher würde da gern mitfahren, wenn sie regelmäßiger im Einsatz wären. Allerdings habe ich natürlich kleine Ahnung, inwieweit die alten Bimmeln den täglichen Verkehr behindern.

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  7. Oktober 12, 2013 10:52 am

    @tonari
    Ich eröffne mal so einen neuen Kommentarblog, das sieht ja sonst sehr furchtbar aus. Also 1. gern und meine Couch bzw mein Gästezimmer stehen Dir und wenn Du magst, Deinem Begleiter zur Verfügung.
    Wo hast Du das mit dem 18. Mai her? Ich finde immer nur den 15. September 2013 als letzten Öffnungstag in diesem Jahr. Von 2014 habe ich noch gar nix gefunden.
    Da der Preis inklusive Hin- und Rückfahrt mit einer historischen Straßenbahn nur 6 € beträgt, müßten wir noch mindestens 4 Interessierte finde, damit sich das für alle preislich lohnt. Also ich täte mal hier rumfragen

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    • Oktober 12, 2013 10:52 am

      Falsch. Da bei den Führungen keine Strabafahrt dabei ist, müssten wir noch mindesten 7 Leute finden. Da müsst Ihr mit suchen

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  8. Oktober 12, 2013 3:12 pm

    Ich finde es gerade nicht mehr.
    Aber, wenn man der Terminkette von 13 traut, dann ist es immer der dritte Sonntag im Monat. Insofern würde der 18. Mai 2014 passen. (Warum das aber der letzte termin sein soll, erschließt sich mir nicht.)
    Wenn wir also das Tantchen mal wieder heimsuchen, dann orientieren wir uns praktischerweise auf eines der möglichen Wochenenden.

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