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Der Norden – ein (fast) weißer Fleck, Teil III

Oktober 8, 2013

oder Das Klärwerk

Man könnte ja nun darüber streiten, ob das Klärwerk ein weißer Fleck ist. Und auch darüber, ob es zum Norden gehört. Oder doch zum Nordwesten. Zentrum Nordwest? Gohlis Süd?

Ach was, das Rosenthal liegt im Norden. Von mir aus gesehen. Und natürlich ist das kein weißer Fleck.

In den kleinen Teich im Wäldchen hinter dem Zoo sprang mal der Russische Windhund (wissen Sie, wie groß Russische Windhunde sind?) einer Freundin, den sie mir für ein paar Tage freundlicherweise überlassen hatte, währenddessen sie selbst wegen irgendwas im Krankenhaus logierte. Der Hund, das riesige Tier, war vorher ins Elsterflutbecken gesprungen und das war damals, so um 1985 rum, noch ziemlich, äh, belastet. Als der Hund, der einen adligen Namen hatte, von allen, einschließlich der Besitzerin aber nur Russe genannt wurde, was manchmal nicht so gut kam, wenn man zum Beispiel irgendwo war und plötzlich ganz viele Sowjetische Soldaten um einen herum ausflügelten und das besetzte Land bestaunten, den Fluten entstieg, klebte an allen seinen vier Beinen und am Bauch so eine zähe schwarze Masse. Und stank! Irgendwie nach Chemie. Ich schob den Kinderwagen hastig nach Hause, das sich damals noch im Waldstraßenviertel befand, wobei ich stets versuchte, einen Mindestabstand von drei Metern zwischen dem stinkenden Vieh und mir zu halten. Ich gab den eigenen Hund und das damals noch recht kleine Große Kind bei den WG-Mitbewohnern ab und machte mich im Hinterhof mit Bürste und einem Eimer Wasser über den Gasthund her.

Zwecklos.

Ich dachte nach.

Dann hatte ich die Idee mit dem Teich im Rosental. Der Hund hüpfte artig rein.

Und wollte partout nicht wieder rauskommen. Also stieg ich, zur Freude aller Spaziergänger, in den Teich und zerrte das Vieh raus. Es war November oder so.

Aber ich schweife ab.

Das Klärwerk, das ist da am Ende des Rosentals. Und als ich noch im Waldstraßenviertel wohnte, spazierte ich da häufig vorbei. Und heute, wenn ich zum Beispiel zum Rugby fahre oder nach Halle oder zu den Seen im Norden, also mit dem Rad, da fahre ich daran auch vorbei.

So gesehen ist das also kein weißer Fleck. Denn ich weiß ja, wo das steht. Selbst wenn man beim Radeln zum Beispiel lieber auf die Luppe guckt, riecht man es. Man kann es nicht verpassen.

Nur drin. Drin war ich noch nie. Innen also ist es weiß, sozusagen.

Zum Tag des offenen Denkmals bot sich nun die Möglichkeit, diese Wissenslücke zu schließen. Nicht nur hinsichtlich eines nicht ganz unwichtigen Bauwerks für die Stadt, sondern auch hinsichtlich meiner Kenntnisse bezüglich der Frage, was eigentlich mit unserer Sch…, na Sie wissen schon, passiert, wenn wir sie runtergespült haben.

Tag des offenen Denkmals wohl, weil das Ding da schon seit 1894 steht. Damals freilich sammelte man das Abwasser nur in vier Absetzbecken und ließ alles, was durchkam, in Elster und Luppe fließen. Den Klärschlamm, also das, was sich abgesetzt hatte, verkaufte man an die Bauern als Dünger.

Das wurden dann im Laufe der Jahre immer mehr so Absetzbecken, bis es 1936 zwanzig waren. Es gab auch ein paar Modernisierungen, wie eine Chlorgasanlage. Aber so genau kann ich das gar nicht sagen, es gab da im Werk eine kleine historische Strecke mit Schautafeln und Fotos. Da man sich im Übrigen aber den ganzen Betrieb ansehen konnte, so wie er heute funktioniert, habe ich mich ausnahmsweise mal nicht so für die Historie interessiert.

Es gab ja auch Führungen mit Kanaleinstiegen und darauf, können Sie sich ja denken, war ich besonders scharf. Aber als ich da eintrudelte, waren alle Führungen komplett ausgebucht und ehrlich, als ich die Glücklichen später gesehen habe, war ich gar nicht mehr so unglücklich, nicht dazu zu gehören.

Und auch ohne Führung konnte man sich kundig machen. Mit einem Flyer bewaffnet folgte ich den blauen Fußspuren zu allen sieben Stationen. Dort stand überall fachkundiges Personal und erklärte und erzählte. Mal hörte ich einfach zu, mal stellte ich selber Fragen, staunte, hielt mir die Nase zu, fand, dass es gar nicht mehr so stinkt, fotografierte.

Ich bin jetzt natürlich immer noch kein Experte, wenn es um die Frage geht, wie aus der braunen Pampe wieder Wasser wird. Aber ich habe mir alles angesehen, fotografiert und erklären lassen.

Am besten, Sie kommen mal mit.

Über Steuerbauwerke, es gibt davon einige, wird der Zulauf zum Klärwerk geregelt. Unten im „Keller“ gibt es einen ganzen Haufen Schalter, mit denen man die Schieber in Gang setzen kann.

Von da gehts in die Rechenanlage.
Das Ding heißt nicht nur so, hier werden tatsächlich die Grobstoffe aus der braunen Pampe heraus gerecht. Sieht  ein bisschen aus wie große Kämme. Das, was rausgekämmt wird, wird gepresst und entsorgt und  liegt dann in Containern rum, die wie Sperrmüllcontainer aussehen und stinkt ganz furchtbar.

Und dann, weil bei Regen und Tauwetter ja auch viel Sand ins Abwasser gelangt (denn hier wird ja nicht nur geklärt, was wir zu Hause runter spülen oder durch den Ausguss jagen), fließt die immer noch stinkende Brühe in so Längsbecken. Es fließt wirklich sehr sehr langsam, so dass sich der Sand auf dem Boden absetzen kann. Und der wird dann irgendwie abgesaugt oder so. Klassierer trennen  den Sand vom „Wasser“ und Inch fotografiert immer noch mit geschlossener Nase.

Und das sind sie, die Schneckenpumpen, mit und ohne Schmutzwasser

Jetzt gelangt das Abwasser in ziemlich große Becken zur Vorklärung. Das Wasser fließt hier ganz langsam durch, dadurch setzen sich Feststoffe ab. Die werden mit so einer Art Schieber in Trichter geschoben. Hier war ich ganz allein und der Fachmann vor Ort hat mir wirklich alles genauestens erklärt. Und weil ich einen fetten Fotoapparat umhängen  hatte, hat er mich da ans Ende geschickt, weil da könne ich besonders schöne Fotos machen. Ich finde ja, auf den Bildern sieht man am besten, was das für Wasser ist, und ich muss an dieses Sprichwort von der Scheiße, die immer oben schwimmt, denken und daran, wie viel Wahrheit in solchen Volksweisheiten doch steckt.

Aber, es hat tatsächlich auch gar nicht mehr ganz so dolle gestunken. Trotzdem, um mich zu einem langen Aufenthalt zu überreden, war es noch nicht unstinkig genug.

Ab jetzt wird alles ein bisschen unklar. Auch der Flyer hilft mir nicht weiter. Und ehrlich, ich habe die Leute sowohl an der Phosphatfällung als auch am Belebungsbecken gefragt. Trotzdem bin ich mir nicht sicher, ob dem Wasser nur bei Bedarf oder immer eine Sulfat-Lösung zugeführt wird.

Ich fange mal so an: In den Belebungsbecken entzieht Betriebsschlamm dem Abwasser Phosphor, Stickstoff und Kohlenstoff. Der Betriebsschlamm selbst besteht aus Mikroorganismen und Bakterien.  Auf folgendem Foto sieht man gut, wie das Abwasser am Ende dieses Prozesses aussieht. (1. von links und 2. von rechts)

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Sieht doch schon ganz gut aus, oder? Die Mitarbeiter der Wasserwerke hatten diese kleine Anordnung extra für Dödel wie mich aufgebaut. Man kann den Prozess noch unterstützen, indem man Essigsäure zusetzt. Das wäre die biologische Reinigung, die wohl auch vorwiegend eingesetzt wird.

Bei der chemischen Reinigung wird noch eine Sulfat-Lösung zugesetzt. Dadurch flockt das Phosphat aus  und kann sich in der Nachklärung absetzen.

Sie sehen, ich bin hier an den Grenzen meiner Auffassungsgabe angelangt. Das hat was mit Chemie zu tun. In Chemie war ich noch doofer als in Physik.

Die Nachklärungsbecken dagegen, die waren wieder sehr hübsch. Acht kreisrunde Becken, auf denen sich Wassergetier, also vorrangig Möwen, tummelte. Sehr hübsch. Wirklich.

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Das aus der Reinigung kommende Wasser wird hier mittig eingeleitet und strömt von innen nach außen.  Dabei setzt sich der letzte Unrat auf dem Boden ab, ein Räumer, der ständig aber langsam im Kreis fährt, schiebt den Schlamm dann in Auffangtrichter. Ein Teil des Schlamms wird dem Betriebsschlamm zu geführt, um die Anzahl der benötigten Mikroorganismen auf dem erforderlichen Niveau zu halten. Das Wasser aber, das fließt nun in die Neue Luppe.

Erst Mal paar Fotos.

Sie fragen sich jetzt sicher: Und was ist mit dem Schlamm? Der konzentrierten Sch…?

Also das konnte ich nicht alles sehen. Da führten die blauen Fußspuren nicht überall hin. Wahrscheinlich hatte man Angst, dass die Leute, also die Besucher, wegen Sauerstoffmangel in Ohnmacht fallen. Zwar gab es häufig auf dem Gelände etwas, das wie Entlüfter aussah und auch für eventuelle Stürze in die braune Brühe war vorgesorgt, aber erstens war nicht ganz klar, was da entlüftet wurde und zweitens glaube ich auch, dass die Schwimmringe nur Tarnung sind. Denn ehrlich mal, wer will schon gerettet werden, wenn er auf diese Art so tief in der Scheiße steckt?

Kann natürlich auch sein, dass die Geschichte mit dem Schlamm, bis er zu den Faultürmen kommt, erst mal uninteressant und evtl nicht seht sehenswert ist.  Der aus der Vorklärung, Primärschlamm genannt,  wird nämlich noch mal ordentlich eingedickt, indem ihm Wasser entzogen wird. Dann kommt er in die Faultürme.

Um dahin zu kommen, folge ich den Fußspuren über eine kleine Brücke und frage mich, überquere ich jetzt einen Nebenarm der Luppe oder die Weiße Elster? Ich denke ja manchmal, die Flußverleger wissen vermutlich oft selbst nicht mehr genau, wo jetzt  das eine Gewässer aufhört und das andere beginnt.

34 m hoch sind die Türme und ein älterer Mann fragt mich, ob ich weiß, seit wann die hier stehen. Wir denken beide sehr angestrengt nach. Das ist ja zum Mäusemelken, aber ich kann mich partout nicht erinnern, ob die Dinger schon vor 1989 da standen oder nicht. Ich meine, an dieser Stelle sind die doch nicht zu übersehen und die sind schon immer da. Aber nein, die wurden erst  2006 in Betrieb genommen. Hm

Heute jedenfalls, am Tag des offenen Denkmals, darf man da rauf und die Aussicht genießen. Schade, dass so pieseliges Wetter ist.  Da sind die Aussichten eher bescheiden.

Ach ja, der Schlamm. Der wird hier bei konstant 37°C durch Mikroorganismen zersetzt. Dabei entstehen Wasser und ein Gasgemisch, das Faulgas. Und dieses Gas wird, nachdem es noch mal gereinigt wurde, im klärwerkseigenen Blockheizwerk verbrannt.  Die dabei gewonnene Energie wird wieder für den Betrieb genutzt. Wenn ich mich richtige erinnere, wird so 60% des Energiebedarfs gedeckt.

Der restliche Schlamm  wird maschinell entwässert und kompostiert. Wie und wo gehörte nicht zum vorzeigbaren Programm.

Hat aber auch gereicht. Ich will ja kein Abwasserwirtschafter werden. Ich habe einen Job. War aber trotzdem nicht schlecht, sich das mal anzugucken. Ich weiß zwar immer noch nicht, was das jetzt mit offenem Denkmal zu tun hatte, aber naja, wir wollen mal nicht so kleinlich sein. Das Klärwerk selber nannte die Veranstaltung auch viel treffender  „Tag der offenen Tür“.

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10 Kommentare leave one →
  1. Oktober 8, 2013 6:41 am

    Inch, Du siehst mich schwer begeistert. Toll beschrieben. Ich bin geneigt, Dich zum Klärwerker ehrenhalber zu ernennen.
    Vielen Dank für diese Tour. Da haben sich die Jungs (und Mädels?) aber wirklich sehr viel Mühe gegeben und offensichtlich toll erklärt. Finde ich super.
    Übrigens : An den Geruch gewöhnt man sich. Und der erfahrene Mitarbeiter merkt in seiner Nase, ob die Biologie gut arbeitet.

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    • Oktober 8, 2013 6:30 pm

      Das Lob klingt, als käme es aus berufenem Munde 😉
      Na so oder so, ich freu mich drüber und dass der kleine Rundgang gefallen hat.
      Und ja, Mädels waren auch da. An der Rechenanlage. Und natürlich am Belebungsbecken, Laborantin oder Biologin, jedenfalls eine junge Frau.
      Und am Einlass, das ist ja typisch. Und bei der Kinderbespaßung.

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      • Oktober 8, 2013 9:56 pm

        Einstiege ins öffentliche Kanalnetz gibt es in Berlin meist im Mai oder Juni.
        ich biete Dir für 2014 Couchsurfing an.

        zum Sandfang
        Meist gibt es dahinter noch eine Sandwaschanlage, die den angesammeltenSand so wieder aufbereitet, dass er ihn erneut als Streusalzersatz verwenden kann.

        zur Belebungsanlage
        Die Rettungsringe brauchst Du unbedingt, weil der Auftrieb wegen des Sauerstoffeintrages nicht mehr funzt Ohne hast Du also Null-Chance dem Becken lebend zu entkommen.

        Eisen-II-Sulfat wird gerne als Fällungsmittel hinzugegegen.Keine Ahnung, wie oft das die Leipziger Kollegen tun.

        die Schlammeindicker
        Dem (Primär)Schlamm aus der Vorklärung wrid hier sein Wassergehalt entzogen.

        Zum Schlamm überhaupt:
        Im Zenrtifugen wird der Schlamm über eine Mindestumdrehungzahl entwässert.

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        • Oktober 8, 2013 11:11 pm

          Die Einladung nehme ich glatt an!
          Und Danke für die Ergänzungen. Ich jedenfalls achte seit dem Tag darauf, was ich so ins Klo schütte, auch wenn es keine armen Teufel mehr gibt, die den Schlamm raus schippen müssen, möchte ich den Wasserwerkern doch, nuja, wie soll ich sagen, besonders leckere Anblicke ersparen und den Einsatz von Chemie minimieren.

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          • Oktober 9, 2013 10:10 am

            Liebe Inch,
            bitte, bitte nicht Wasserwerker zu den Klärwerkern sagen. Da sind beide Seiten nicht froh drüber. Die einen, weil sie für die saubere Seite der Sache, also das Trinkwasser zuständig sind. Die anderen, weil sie sich von den Kollegen eben gerne unterscheiden wollen 😉

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  2. Oktober 10, 2013 5:33 am

    Hallo Inch. Ein super detaillierter Bericht! Habe die gedämmte Fachtermini von der Wasseraufbereitung plötzlich wieder auf der geistigen Festplatte. Vorfluter, BSB, CSB, Faulturm, Nitrosomonas, Nitrobacter, (so heissen die Bakterienstämme, die die biologische Schmutzfraktion abbauen)… In meiner Ausbildung war Wasseraufbereitung ein fester Bestandteil. Leider fanden nur sehr wenige meiner Kommilitonen in den Beruf. Als Aussenstehende, hast Du wirklich umfassend geschrieben!

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    • Oktober 10, 2013 6:53 pm

      Auc Backe, so viele Leute vom Fach hier. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich mich vielleicht nicht getraut, zu bloggen 😉 Aber sieht ja aus, als hätte ich es einigermaßen hingekriegt und keinen all zu großen Bockmist verzapft. 😀 Das freut mich!

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  3. Oktober 10, 2013 10:42 pm

    Langsandfangbecken muss man auch erst mal fehlerfrei schreiben lernen *g* – glücklicherweise hast Du uns detailliertere Aufnahmen vorenthalten 😀

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    • Oktober 11, 2013 5:19 pm

      Wie die Schulstudie ja gerade zeigt, sind wir im Osten etwas schlauer. Das zeigt sich dann auch darin, dass wir Worte wie Langsandfangbecken fehlerfrei schreiben können. Aber ich finde, Du als Wessi hast Dich ganz herorrganed geschlagen 😉

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