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Feuchtgebiete

Juni 24, 2013

Hüttenradtour. Tour de Sax.

Einmal im Jahr fahren wir mit dem Rad auf die Hütte. Die ganz sportlichen von Leipzig aus. Ich wählte die Weicheivariante. Zug bis Riesa, dann auf dem Elberadweg die letzten 90 km bis in die Sächsische Schweiz. Und weil Kinder dabei sind, ist das Tempo moderat.

Die erste Herausforderung des Tages: Mitten in der Nacht aufstehen.

Die zweite Herausforderung: so um die 20 Räder in einem Zug der Deutschen Bahn unterbringen.

Knapp eine dreiviertel Stunde sitzen wir im Zug, dann müssen die Räder wieder sortiert und gestapelt werden. Schließlich sind wir nicht die Einzigen, aber die einzigen, die in Riesa raus wollen, da muss man schon ein bisschen die Übersicht behalten, welcher Drahtesel wieder zurück in den Wagon muss. Und überhaupt, ob alle ihre Räder haben.

Die Zugbegleiterin, das muss hier mal erwähnt werden, ist sehr freundlich und geduldig.

Schließlich hat jeder ein Rad, erkennt es als das seine an, es ist auch keins zu viel und kann los gehen.

Elberadweg.

Da hat es ja nun vor nicht all zu langer Zeit ziemlich viel Wasser gegeben. Letzte Woche glaubte ich auch noch, die Tour fiele aus, steht unsere Hütte doch auch ziemlich nah am Fluss. Doch zwar ist sie im Moment nur eingeschränkt nutzbar, aber immerhin eben nutzbar.

Doch was uns auf dem Elbradweg erwartet, in wieweit der befahrbar ist, davon haben wir keine Ahnung.

Schon in Riesa stellt sich uns ein Schild in den Weg. Zwar ignorieren wir es zunächst, müssen aber erkennen, dass so Schilder nicht immer sinnfrei in der Landschaft rumstehen, kehren um und nehmen eine andere Route. Auch hier ist genug Wasser. Es steht auf Feldern und Wiesen.

Wir kommen durch den ersten Ort nach Riesa. Ein Dorf. Die Menschen räumen auf. Sortieren, was nicht mehr zu gebrauchen ist.

Als wir in den Ort einfahren, wird mir die Absurdität unserer Tour bewusst. Oder erscheint mir absurd. Ich fühle mich schlecht, möchte mich vor den Blicken der Anwohner in Schürzen und Gummistiefel verkriechen. 20 Leute auf Rädern! Wir sehen aus wie Fluthelfer, die sich die Mühe machen, in eins der Dörfer zu fahren. Die Leute sehen uns erwartungsvoll an, fragen gar, ob wir Schaufeln mit haben. Nein, haben wir nicht. Wir fahren durch.

Ich schäme mich in Grund und Boden.

Und so wird es bleiben auf der Tour. Größtenteils ist der Radweg befahrbar, manchmal müssen wir Umwege machen, unsere Räder am Rand balancierend unter Brücken hindurch schieben.

Wir fahren durch verwüstete Landstriche. Felder und Wiesen, die teilweise noch unter Wasser stehen, platt geflutetes Getreide, ausgespülte Erdbeerfelder. In den Ortschaften häuft sich unnütz gewordener Hausrat auf den Straßen, bereit zur Müllentsorgung. Sofas, Schränke, Kühlschränke, Stühle, Spielzeug, Werkzeug.

Die Anwohner räumen auf, oder besser, sie räumen ihre Häuser leer. Dort, wo es nichts mehr zu tun gibt, stehen Türen und Fenster offen, um die Räume zu trocknen. Dort starren wir in leere Stuben. Dort sehen wir kaum Menschen. Als hätten sie sich irgendwohin verkrochen, um nicht sehen zu müssen.

Und über allem liegt dieser Geruch. Es riecht feucht, vermodernd, eine Mischung aus Fäkalien und Industrie-Öl. Schwer zu beschreiben.

Einige Stopps auf der Tour haben Tradition. Zum Beispiel der erste beim Bäcker in Merschwitz.

Das ist ca 15km nach dem Start in Riesa. Im Garten der Bäckerei lässt es sich gemütlich bei Kaffee und Kuchen pausieren.

Bei Meißen sieht dann alles fast wieder normal aus. Zwar  sieht man dem Gras links und rechts noch die kürzlich überstandene Flut an, hie und da ist noch eine Bank defekt und in den Baumkronen hängt Unrat, aber der Weg ist befahrbar. Fast jedenfalls.

Nicht alle Gaststätten am Radweg haben geöffnet. Der selber ist verhältnismäßig leer. Bei solchem Wetter, an einem Wochenende, wimmelt es hier normalerweise von Ausflüglern und Radtouristen.

In Niederwartha überqueren wir die Brücke und wechseln auf die linkselbische Seite. Der Biergarten des Fährhauses lädt zu einer kleinen Rast ein. Hier sieht alles friedlich aus. Die Elbe ist ein Stück weit unter uns. Doch als wir den Wirt fragen, ob es ihn schlimm erwischt hat, zeigt er uns 1,50m an. Wir stehen in der Wirtstube und sind verblüfft. Ja, erklärt er, er hat es geschafft, alles abzubauen und in Sicherheit zu bringen, einschließlich Tresen. Nach dem Aufräumen hat er gestrichen und den Tresen wieder hingestellt. Natürlich kann das Mauerwerk nicht trocken sein. Vielleicht holt er diesen Schritt im Winter nach. Das Fährhaus ist eine Ausflugsgaststätte, lebt vom Saisonbetrieb. Ich bin beeindruckt vom Elan des Besitzers. Das normale Frühjahrshochwasser, das reicht bis zum Biergarten, zeigt er uns, aber wenn’s eben 2m mehr werden…

Eine andere Gaststätte, in der wir zum Mittag einkehren wollen, ist noch geschlossen. Zwar herrscht dort rege Betriebsamkeit, aber die gilt dem Aufräumen, dem wieder Instandsetzen. Am Sonntag, auf dem Rückweg sehen wir, dass sie nun geöffnet hat.

In Oberrvogelgesang aber, da wo es traditionell das letzte Bier gibt, bevor wir unsere Hütte in Rathen erreichen, sind zwar die Toiletten nicht benutzbar und die Fläche, auf denen Biergartentische und –bänke stehen, sieht eher aus wie ein Acker, schenkt der Wirt in seinem Imbiss tapfer Bier aus.

Meine anfängliche Scham weicht, je weiter wir kommen, der Bewunderung für den Elan der Betroffenen, diesem „wir machen weiter“.

Und dann sind wir am Ziel. Weil zwei Freunde Geburtstag hatten, ist die Versorgung gesichert.  Die, die in Leipzig gestartet sind, treffen nach und nach ein und erzählen von den Verwüstungen an der Mulde, deren Verlauf sie anfänglich gefolgt sind.

Am Sonntag fahren wir auf dem Elbradweg zurück nach Dresden, springen dort in den Zug und nehmen uns vor, im nächsten Jahr aber nun wirklich mal wieder die große Tour mit zu fahren.

Die Fotos sind fast ausschließlich mit der Taschenknipse und vom fahrenden Rad gemacht. Diesmal entschuldige ich mich nicht für die vielen Fotos. Diesmal mag ich nicht noch mehr aussortieren.  Diesmal sind die vielen Bilder gewollt. Drauf klicken hilft beim groß gucken.

5 Kommentare leave one →
  1. Juni 25, 2013 9:16 pm

    Was bin ich dem Schicksal dankbar, daß ich nicht in einem von der Flut so schwer betroffenen Orte lebe… Wenn ich kurzfristig von der Arbeit weg gekonnt hätte, wäre ich zum Helfen gefahren… So bleibt mir beim Betrachten der Bilder lediglich eine tiefe, auch verschämte, Betroffenheit…

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    • Juni 26, 2013 8:05 pm

      Damals, 2002, hieß es, dass die Helfer nach der ersten großen Welle ausblieben. Die dürfte jetzt auch vorbei sein. Ganz davon abgesehen, dass die Dörfer oft vergessen wurden.
      Ich habe nun mal heute im Internet geschaut, wo man am WE noch hin könnte, aber nichts gefunden. Nun bin ich am Überlegen, ob ich mich einfach aufs Rad setze und los fahre und frage. Wahrscheinlich werde ich mich aber nicht trauen. Vorher anrufen ist vermutlich besser

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  2. Juni 25, 2013 9:59 pm

    Bei dem Titel hab ich erst an eine Filmrezension gedacht, dann fiel mir wieder die Flutkatastrophe ein. Wäre mir glaube ich auch unangenehm gewesen dort zu fotografieren, aber ich schätze mal die sind Fotografen inzwischen gewohnt, da waren vor einigen Tagen sicher noch ganze Kamerateams unterwegs.
    Die „kleine“ Tour sind 90 Kilometer? Wie lang ist dann die normale? Klingt jedenfalls recht anstrengend.

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    • Juni 26, 2013 8:03 pm

      Ich glaube, die lange ist 180 km lang.
      Ja, egal wie viele Fotografen da vorher waren oder gerade deswegen, ist es doch unangenehm. Andererseits wollte ich eben auch unsere Tour fotografieren.

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  3. Juni 26, 2013 11:54 pm

    Ich würde einfach hinfahren und mit den Leuten reden 😉 Weil, wie Du schon geschrieben hast, die Dörfer wurden und werden auch weiterhin vergessen…irgendwo anfragen kann man eigentlich gar nicht mehr, ich hatte auch übertriebener Weise fast das Gefühl, dieses Jahr brauchte man „nirgendwo Helfer“, da ja alles unter bester Kontrolle und man aus 2002 gelernt hat….was aber völliger Humbug war…

    Ich bin trotzdem auch dafür, das Fotos gemacht werden. Ich finds halt auch wichtig, zu sehen, was drumherum alles noch passierte, außer in „meiner Heimat“. Und die Fotos, die Du gemacht hast, davon hat sich bestimmt kaum jemand nen Bild von machen können. In diesem Sinne: Deine Serie gefällt mir gut!

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