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An der Saale hellem Strande

Mai 13, 2013

Das Gebiet westlich von Halle ist eine Überraschung. Das  Salzatal und die zu Wettin gehörenden Gemeinden scheinen weitgehend verschont geblieben von auf dem Reißbrett entstandenen, die Dörfer umklammernden Eigenheimsiedlungen mit ihren handtuchgroßen Gärtchen, wie man sie rund um Leipzig viel zu oft findet.

Stattdessen scheinen die Bewohner darauf bedacht, die alten Gehöfte nach und nach behutsam zu sanieren. Manchmal, dass sieht man, fehlt ihnen auch einfach das Geld.

Zwischen Alteingesessenen und Bauern mischt sich junges, zugezogenes Volk. Künstler, Aussteiger, Handwerker, Landwirte. Es gibt romantisch verwinkelte Dörfer mit engen Gassen, lauschige Plätze, Vierseithöfe, so versteckte Cafés, dass wir sie erst und nur entdecken, weil ich ein altes, scheinbar rostiges Schild fotografieren will und der Name „Picknick am Wegesrand“ einfach neugierig macht. Die junge Besitzerin ist denn auch tatsächlich eine Liebhaberin der Strugatzki-Brüder und ein Fan Tarkowskis. Hier könnte ich stundenlang verweilen, ihren selbstgemachten Kuchen in mich hinein stopfen und mit ihr über den Russischen Filmemacher und die polnischen Autoren diskutieren, mir die Geschichte der Kirche, in der das Café entstand, erzählen lassen und wie sie hierher gefunden hat und geblieben ist.

Schon als wir am Donnerstag hierher fuhren und an der alten Templerkirche vorbei, wusste ich: Hier war ich schon mal. Vor 20 Jahren kauften sich Freunde einen alten Bauernhof in einem gänzlich verlassenen Dorf. Nach und nach zogen da immer mehr junge Familien hin. Landwirte, Schreiner, Theologen, Künstler, auch Lebenskünstler. Ich war oft da und half bei der Sanierung des alten Gemäuers. Und irgendwann sprangen wir in die Autos und sie zeigten mir die alte Templerkirche, die, nachdem sie als Lager gedient hatte, auf bessere Zeiten hoffte. In der Mitte des 13. Jahrhunderts in Mücheln errichtet, ist sie die einzige erhaltene dieses Ordens in Deutschland. Die Freunde träumten damals mit Gleichgesinnten von der Sanierung, von Konzerten und Ausstellungen.

Lange schon habe ich den Kontakt verloren. Aber wir nahmen uns die Zeit, das Bauwerk zu besichtigen, besuchten den Templerhof, die Kunst- und die Fahrradausstellung. Einiges hat sich getan in den vergangenen 17/18 Jahren. Doch Arbeit gibt es noch genug.

Zwischen all dem fahren wir auf Radwegen entlang der Saale, hoppeln über Kopfsteinpflaster, schauen Falken beim Flugspiel zu, setzen mit Fähren, die hier keine Folklore sind, immer wieder ans andere Ufer. Der Raps leuchtet mit der Sonne um die Wette oder  an ihrer statt und erfüllt die Luft mit einem alle Sinne betäubendem Duft.

Hoch über Wettin ragt die Stammburg des namensgebenden, in ganz Europa bekannten Fürstengeschlechts. Doch zu besichtigen ist sie nur von außen, beherbergt sie doch heute ein Gymnasium. Auch in Giebichenstein, der Burg, die in Halle über der Saale thront, wird fleißig studiert und gelernt. Schon im letzten Jahrhundert wurde in der Unterburg eine Kunstgewerbeschule errichtet. Die nannte sich später Hochschule für industrielle Formgestaltung und seit 1990 Hochschule für Kunst und Design. Zumindest in Mitteldeutschland  führt die Aussage, man habe oder studiere da zu einem anerkennenden Nicken.

Wir haben uns auf dem Gut Trebitz eingemietet. Direkt an der Saale, im Salzatal, gegenüber Wettin. Die kleine Pension ist im alten Herrenhaus untergebracht, man wirbt mit dem Hof-Café, Hausmannskost und züchtet Schottische Hochlandrinder. Die Zimmer sind geräumig und gemütlich eingerichtet, der Hof tatsächlich noch ein landwirtschaftlich genutzter, Pelzbienen geben ein lautes, bedrohlich klingendes Konzert.

Das am frühen Abend des Herrentags das Café geschlossen ist und alles Essen in der Scheune ausverkauft, lässt sich verschmerzen.

Am Freitag hat das Café ebenfalls zu. Weil doch am Samstag Konzert ist und die Chefin so viel zu tun hat.

Dann kommt der Samstag. Wir fahren Richtung Süßen See. Es geht Serpentinen hinauf und lange Abfahrten hinunter. Wer hätte gedacht, dass ein Tal so hügelig sein kann?

Mir ist ein bisschen unwohl und als das reichliche Frühstück sich seinen Weg tatsächlich zurückbahnen will, habe ich ein Einsehen, lasse die Freunde ziehen und trotte die 12-13 km zurück. Nein, ich fahre natürlich. Aber sehr gemächlich.

Ein Mittagsschlaf, ich bin wieder fit und begebe mich frohgemut ins Café. Oh ja, die Radfahrer! Die Wirtin weiß Bescheid, offensichtlich wurden wir von den Pensionwirten angekündigt.

Doch ich muss warten, weil man eine Busladung Rentner erwartet und nicht weiß, was und wie viel die essen.

Hm.

Immerhin, Kaffee scheint reichlich dazu sein.

So schaue ich die schwarze Brühe schlürfend der Ankunft der Rentner zu, ihrem Verschwinden im Restaurant, denn auch ein solches ist dem Hof-Café angeschlossen, und als die Reisegesellschaft wieder von dannen fährt, frage ich nach dem Kuchen. Es ist so was gegen Halb Fünf. Und tatsächlich, ich erstehe ein Stück Preiselbeer-Sahne-Torte. Selbstgebacken natürlich.

Die Freunde kehren gegen 6 vom Süßen See zurück. Da gibt’s nun keinen Kuchen mehr. Also es wäre schon noch welcher da. Aber irgendwann muss auch mal Schluss sein, wird den Freunden von der Wirtin beschieden in einer Art und Weise, dass die sich 45 Jahre zurück in ihre Grundschulzeit versetzt fühlen.
Aber schließlich steigt hier 20:00 Uhr die große Sause, da muss Chefin sich vorbereiten.

Wir zahlen wirklich den Eintritt für die Scheune, denn nur dort gibt es noch zu Essen. 5€ tun auch nicht weh, egal was kommt.

Platz ist freilich keiner mehr, denn das ganze Dorf, alles was laufen kann, ist da. Und wohl auch das Nachbardorf.

Eine Band spielt so, naja, alles, was man tanzen kann. Das ist nur Recht und billig für ein so breites Publikum. Es sind noch drei andere Bands angekündigt, die eine aber, so heißt es, spielt immer wieder zwischendurch und zum Schluss.

Wir sitzen draußen in der Kälte und versuchen uns im Titelraten. Weil wir nicht so gut sind, schwenken wir um auf Pinkelraten. Geht er zur Mauer? Zum Traktor? Ans Auto?

Die 2. Band ist nur ein einzelner Herr, der mit der 1., Zwischen- und letzten Band zusammen … äh … musiziert. Ich bin empört. Nur weil die Leute hier auf dem Dorf leben, haben die doch Anspruch auf Qualität! Oder nicht?

Wir wissen bald nicht mehr, wer jetzt eigentlich spielt, es wird immer gruseliger, und gehen zu Bett.

Doch das Grauen kennt kein Ende. Offensichtlich glaubt man wohl, das Publikum sei jetzt eh besoffen und man könne ihm alles antun. Oder die Musiker sind besoffen. Ich weiß es nicht. Tatsächlich stört mich weniger der Lärm als das Gejaule. Ja, GEJAULE!!! Es ist unerträglich und ich rege mich darüber so sehr auf, dass an Schlaf nicht zu denken ist.

Zum Glück beginnen die Leute auf dem Dorf ihre Parties pünktlich, nämlich 20:00 Uhr. Und genauso pünktlich, nämlich 2:00 Uhr, ist Schluss. Ich öffne die Fenster, lausche dem Geplänkel der Dorfjugend und falle in den dringend benötigten Schlaf.

Am Sonntag folgen wir dann einem genialen Saaleradweg nach Bernburg. Es fährt sich wunderbar, geht wieder durch kleine Dörfer und an Burgen vorbei. Ausgerechnet als wir das Waldstück erreichen, setzt der Regen ein. Die Fahrt wird zur Schlitterpartie. Und obwohl es saukalt ist und ein eisiger Wind pfeift, ist uns ganz warm von der Anstrengung. Zum Glück gehört die Stadt in der Magdeburger Börde zu jenen, die noch einen Bahnhof  mit allem drum und dran betreiben, also nicht nur Aus-und Einfahrt von Zügen, sondern auch ein kuschlig warmes Restaurant mit türkischem Menü.

(Zur genaueren Betrachtung hilft ein Klick aufs Foto)

19 Kommentare leave one →
  1. Mai 13, 2013 10:59 pm

    Schön schön. Sone Saale Radtour würde ich gerne mal machen. Deine Fotos machen richtig Lust drauf. und den Fläming möchte ich auch gerne kennenlernen.

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    • Mai 13, 2013 11:04 pm

      Ja, ich wäre nur gern öfter stehen geblieben und hätte mir Zeit zum Fotografieren genommen… Aber dann wären wir wohl nie weiter als 5 km gekommen. Ich fahre da einfach noch mal hin, habe ich beschlossen. Wenn die Sonne scheint und dann nehme ich mir gaaaaanz, ganz viel Zeit

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  2. Mai 14, 2013 12:07 am

    Ach, es sieht aus und geht zu wie in meinem ehemaligen Dörfchen. Das war ja eh mehr Sachsen-Anhalt als Sachsen. Ich werde mal wieder hin müssen und zu Nietzsche nach Röcken auch.
    Trotz Eile sind deine Fotos schön.

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  3. Mai 14, 2013 12:09 am

    Ich habe schon die anderen Bilder aus Halle bestaunt und den Reisebericht genosse,. Hier tu ich es wieder. Und wenn Du irgendswan – nicht wahr, ein Stück darf ich Dich begleiiten?

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    • Mai 14, 2013 7:57 am

      Ach, lieber Emil, ich habe ganz viel an Dich gedacht. Vor allem, als es Freitag überraschend noch mal nach Halle ging, weil zwei Freunde nachkamen und abgeholt werden wollten und wir dann auch noch in einem Restaurant an der Saale in Halle zu Mittag aßen.
      So ist das eben, wenn ich andere planen lasse und einfach nur mitfahre. Bis zum Donnerstag kannte ich nicht mal so richtig die Strecke.
      Aber ich komme wieder! Zu schön isses da. Und dann sag ich Bescheid. Versprochen!

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  4. Mai 14, 2013 12:44 am

    Am süßen See gibt`s ja auch einen Luther-/Jakobsweg, allerdings nicht so lang, wie der in Spanien 🙂

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    • Mai 14, 2013 7:57 am

      Führt der Jakobsweg nicht nach Spanien? 😉
      (wenn ich mal klugscheißern darf 😀 )

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      • Mai 14, 2013 8:30 am

        Alle (Jakobs-)Wege – ob z.B. von Stockholm, Sizilien oder Schottland, führen letztendlich nach Santiago de Compostela. 😉

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  5. Mai 14, 2013 8:57 am

    Schöne Bilder 🙂
    Liebe Grüße von einem anderen Teil der Saale (in Jena) 😉
    nickel

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    • Mai 14, 2013 7:44 pm

      Ach ja, Jena. Ich muss gleich mal gucken, was der Kultursommer in diesem JAhr so bietet

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  6. Mai 14, 2013 7:04 pm

    Das zugewachsene schiefe Haus mit den blauen Fensterläden ist ja allerliebst. Überhaupt scheint mir die Umgebung von Halle recht reizvoll zu sein, die Stadt selber hat mich nicht so umgehauen, aber das mag auch an der vom Navi vorgeschlagenen rein/raus Route gelegen haben.
    Die Namen der besoffenen Musiker hast Du nicht zufällig? Ich kenn da jemanden in der Gegend, dem ich so etwas zutrauen würde *fg*

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    • Mai 14, 2013 7:43 pm

      Ja, ich war auch überrascht. Halle kenne ich sonst nur vom Auto oder Zug aus. Bin durch gefahren oder in die Uniklinik oder mal zu einem Konzert.
      So mit dem Fahrrad und entlang der Saale sah das plötzlich ganz anders aus. Viel grün. Und westlich der Stadt dann, also ich würde sagen, zwischen Halle und Bernburg lohnt sich der Saaleradweg. Und ein paar Abstecher nach links und rechts. Ich war da definitiv nicht zum letzten Mal

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    • Mai 15, 2013 10:52 am

      Ach ja, die Musiker. Ich weiß ja nicht, welche da am schlimmsten war. Deshalb hier mal alle, derer Namen ich mich noch erinnern kann: Meilenstein, Glücksritter und Ghetto

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  7. Mai 14, 2013 8:08 pm

    ganz wunderschöne fotos! die stecker neben der straßenlaterne lassen mich schmunzeln. danke für´s mitnehmen.

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  8. Mai 15, 2013 9:18 am

    Klasse! Alles, Fotos und Bericht! 😀
    Das macht Lust darauf, diese Gegend selbst einmal zu erkunden…

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  9. Juni 1, 2013 11:18 pm

    Hallo Gertje, wenn man in deinem Blog anfängt zu lesen, kann man schlecht wieder aufhören.Es ist interessant, lustig, spannend, bildend…und so, als würdest du neben einem erzählen.Es kommen auch so viele eigene Erinnerungen hoch durch deine Beiträge.Das ist toll.Danke. An der Saale bin ich auch schon mit Felix Rad gefahren und kann auch deine „Fotosucht“ mehr als nachvollziehen.

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    • Juni 2, 2013 9:29 am

      Hallo Salli! Willkommen auf meinem Blog. Die Saale ist wirklich toll, da will ich dringend noch mal hin. Wenns mal nicht regnet. Bei dem aktuellen Wetter möchte man ja am liebsten den Kamin anschmeißen, wenn man einen hätte

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