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Bauern, Fischer und Kassierer

Mai 8, 2013

Zurück in Leipzig, genoss ich die Farbenvielfalt des Frühlings. Saugte gierig die Düfte auf. Während ich in Tallin war, war hier offensichtlich der Frühling explosionsartig ausgebrochen.

Dort in Estland sah es aus wie befürchtet. Kein Schnee. Nein. Aber es blühte auch noch nichts. Gar nichts. Immerhin, am Rande des Altstadtkerns hatte sich ein Gärtner befleißigt und ein paar im Gewächshaus gezogene Frühblüher gepflanzt. Und auf einer Treppe sah ich sich eine Hundeblume aus den Ritzen schieben und mit ihrem Gelb dem Grau trotzen.

DSCN0937

Gut wenn man mit Kollegen befreundet ist. Das ist natürlich Huflattich

Am Tag nach dem Maifeiertag sind wir hinaus gefahren ins Eesti Vabaöhumuseum, dem Estnischen Nationalmuseum.  In Vabaöhumuseum vermisse ich ja irgendwie das I. Denn hier gibt es ganz viele Is. Man geht zum Beispiel in einen Clubi, oder einen Pubi.

Aber im Vabaöhumuseum gibt es weder Clubi noch Pubi, sondern aus dem ganzen Land zusammen getragene Bauernhäuser und Fischerkaten, Ställe, Scheunen, Netzschuppen, jede Menge Saunen, Schmieden, ein Schulhaus, ein Spritzenhaus, Wind- und Wassermühlen, natürlich eine Kirche, einen Dorfladen und einen Dorfkrug.

Hier draußen gibt es keine Touristengruppen, nur eine Schulklasse, ein paar Russen, ein paar Esten und uns. Manche Häuser sind geschlossen, in manchen sitzen Frauen und mimen dörfliches Leben. Mit einem Plan bewaffnet schlendern wir von Hof zu Hof, stoßen uns an niedrigen Türen, krauchen in Saunen, begaffen altes Handwerkszeug, Ackerbaugeräte, Vieställe, Wagen, Schlitten, und die Art, Zäune zu flechten. Es ist fast ein bißchen zu warm heute. Da ist es gut, dass das Museum in einen Wald gesetzt wurde, im dicken Wintermantel ist es auf schattigen Alleen und Wegen eher auszuhalten.

Im Dorfkrug würde ich gern wirklich Estnisch essen. Aber eine richtige lokale Küche gibt es nicht. Sie ist eher Deutsch. Hie und da Russisch. Und man ist gern Kartoffeln, allerdings nicht  gebraten. So sitze ich bei Heringen, Remoulade und Kartoffeln neben dem Brunnen des Dorfkruges, während die Freundin und Tochter irgendwas mit Fleisch und Sauerkraut essen.

Die beiden wollen noch irgendwohin zum Strand. Aber ich bin fußlahm und fahre zurück ins Hostel. Erfahrungsgemaäß hat man da am späten Nachmittag die meiste Ruhe, weil der Bestitzer grundsätzlich nachts baut.

Heute ist das anders. Ich schiebe mich an einem Boiler vorbei, hier soll wohl noch eine dritte Dusche entstehen.

Nach einem angemessenen Spätmittagsschlaf gebe ich mich dem Erlebnis Lebensmitteleinkauf hin. Ich würde ja gern so ein bissl Wurst haben, aber hier scheint es  nur Bockwürste zu geben. Gut, also Käse. Im Supermarkt werden sowohl heimische Produkte angeboten als auch die üblichen verdächtigen. Scheint aber eine gute Mischung zu sein.

Dann stehe ich an. Nichts geht. Dann rücke ich ein Stückl vor. Dann geht wieder nichts. Noch ein Stück. Jetzt ist die Kasse unbesetzt. Äh. Wechsel zu einer anderen Schlange? Nee, die sind auch zu lang. Außerdem ist mindestens eine weitere Kasse auch unbesetzt.

Kurz vorm Ziel verlässt die Kassiererin noch einmal ihren Arbeitsplatz. Mürrisch schlendert sie herum, schubst ein kleines Mädchen zur Seite, brummelt, weil hier jemand einen falschen Korb auf den Stapel getan hat, wirft ihn mir fast auf die Füße, schiebt den Stapel weg. Man könnte meinen, wir seien in einem Fußballspiel. Ihre Mannschaft führt mit einem Tor, es ist in der Nachspielzeit und sie versucht, Zeit zu schinden. Das ist so bizarr, dass ich lachen muss. Findet die Dame jetzt aber so gar nicht lustig. Was mich nur  noch mehr gickern lässt. Ich kann und will nicht verbergen, dass sie mich amüsiert.

Mit meinem vollen Einkaufsplastebeutel peile ich einen Park an, setze mich in die Sonne und sehe dem Treiben auf dem Wollmarkt zu.

Heute Abend essen wir im Hostel. Die Freundin, nicht so oft in solchen Lokalitäten unterwegs, wundert sich, dass das geht. Es wird ein netter, schöner Abend.

18 Kommentare leave one →
  1. Mai 8, 2013 9:19 pm

    Klasse Bericht, klasse stimmungsvolle Fotos – das Essen sieht sooo schlecht doch garnicht aus: Ich will auch nach Estland.

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  2. Mai 8, 2013 10:30 pm

    Ich finde auch, daß das Essen doch eigentlich ganz gut aussieht. 😉
    Danke für die schönen Fotos, und den sehr lebhaft und anschaulich – und vor allem sehr gut! – verfassten Post. 😉

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  3. Mai 8, 2013 10:36 pm

    Ich wollte ja auch nicht sagen, dass das Essen schlecht war. Nur eben so sehr vertraut. Heringe m,it Soße und Kartoffeln gehören zu meinen Leibgerichten.
    Und ja, danke für das Lob, Euch beiden. Freut mich, wenns gefällt. Und schönen Herrentag.

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    • Mai 10, 2013 9:10 am

      Herrentag? Ich habe mit Frau Waas eine Fahrradtour bergauf bergab im heissen Hinterland gemacht 😉

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      • Mai 12, 2013 5:41 pm

        Ich auch. Aber nicht mit Frau Waas und bergauf bergab ginbgs erst gestern und überhaupt war es nicht so heiß und heute bin ich erst zurück gekommen

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  4. Mai 9, 2013 1:50 am

    Die Häuser und Zimmer sind also Teil dieses Museums? Die Landschaft scheint wirklich urig, und dieser lang gezogene Reet-Dach-Bau sieht so aus, wie ich mir immer Wikinger-Versammlungshäuser vorstellte. Danke für’s Mitnehmen!

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  5. Mai 9, 2013 2:17 am

    Oha, das sieht beinahe aus wie norwegischer Rakfisk. Ob ich den runter kriegen würde weiß ich allerdings nicht *fg*
    Und das Fleisch/Sauerkrautgedöns war doch sicher Bigos, das kenn ich inzwischen aus der polnischen und der weissrussischen Verwandtschaft, das gibts bestimmt auch in den baltischen Staaten.
    Das Nationalmuseum ist interessant. Wieso haben die eigentlich den Bootssteg und das Boot ausgerechnet im kleinsten Tümpel? Damit das nicht so weit wegschwimmen kann? *g*
    Sieht aber toll aus die Ecke.

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    • Mai 9, 2013 10:25 am

      Wenns wenigstens Bigos gewesen wäre. War aber ganz profan Schweinefleisch mit Sauerkraut und Kartoffeln. Rakfisk musste ich jetzt erst mal googeln. In Norwegen war ich ja noch nicht. Und das Boot im Tümpel. Hm. Vielleicht haben die Angst, dass es geklaut wird, wenn sie es am Strand liegen haben.

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  6. Mai 9, 2013 8:47 pm

    Aach, Inch…. deine Fotos! Einfach toll.

    Heute habe ich zum erstenmal gesehen, dass auch Blende, Zeit…etc. darunter stehen.
    Ich habe ja nun mittlerweile auch die P100, aber absolut keinen Bock darauf, die 276-seitige Bedienungsanleitung zu studieren 🙂

    Bitte sage mir, dass das Werte der „Automatik“ sind und du die nicht manuell einstellst.

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    • Mai 10, 2013 9:20 am

      Wo bzw. wie kann man denn die Aufnahmedaten sehen? Bei mir werden die ohne alles im Firefox angezeigt.
      btw: Man muss nicht alle 276 Seiten lesen. Die wichtigsten genügen. Wenn man allerdings die Kamera gekauft und bezahlt hat, sollte sie auch die Fotos so machen, wie man sich als Fotograf das wünscht. Mit der „Automatik“ ist das so, als wenn einem zwar die Kamera gehört, sie aber die Fotos so macht, wie ihr das gerade durch die Elektronik schwirrt 😉

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  7. Mai 10, 2013 3:28 am

    sehr schöne fotos, und die fehlenden farben machen die fotos besonders stimmungsvoll, finde ich.
    liebe grüße

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  8. Mai 10, 2013 10:51 am

    Herr Ärmel, ich hab*s befürchtet 🙂 Ich werd`halt einfach mal versuchen, mittelmässigkeit von mir zu akzeptieren.

    Die Werte wurden auf dem Galaxy angezeigt. Hoffe, dass ich mit meiner Frage in kein Fettnäpfchen getreten bin.

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    • Mai 10, 2013 1:31 pm

      Ich bin grad auf Radtour. Antworte später. Bin Sonntag wieder zu Hause. Nur soviel: Man kann häufig genutzte Einstellungen auch speichern

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  9. Mai 12, 2013 5:54 pm

    @Menachem: Hast Du inzwischen gelesen? Also nicht alle 2786 Seiten, sondern die wichtigen. So ab >Seite 60 gehts um Programm, Blenden-, Zeitautomatik und manuelle Einstellungen. 😉 Da findest Du auch den Hinweis, wo und wie Du häufig verwendete Einstellungen speichern kannst. Als ich nutze das zB bei schlechtem Wetter, oder wenn ich weiß, dass ich im Schnee fotografiere, oder Sportler. Das ist ganz gut, da muss man nicht jedesmal neu einstellen, wenn es darum geht, die Kamera flink startbereit zu haben. Aber, ich gebe zu, ich fotografiere tatsächlich auch mit der Automatik. Wenn das Licht stimmt und es schnell gehen muss. Was ich dagegen nie nutze, sind diese voreingestellten Programme wie Landschaft, Innenaufnahme, Strand, oder gar Sport. Nur manchmal, wenn ich heimlöich im Museum fotografiere, nutze ich die Museumsfunktion, weil da hört man das Klick nicht. Allerdings enstehen da kaum brauchbare Fotos

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  10. Mai 12, 2013 6:16 pm

    Danke dir, Inch. Dann beginne ich mal gaaaaaaaaanz langsam mit dem Üben.

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    • Mai 12, 2013 6:29 pm

      Oh, und noch was: Ich bearbeite die Bilder, wenn sie nicht so gelungen sind, oft noch nach

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