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Der fröhlichste Friedhof der Welt und ein Unfall mit einem Wildschwein

September 20, 2012

Sighet. So nennen die Einheimischen Sighetu Marmatiei, die historische Hauptstadt der Maramures. Mal Hauptstadt der alten Maramures, dann Teil von Siebenbürgen und Residenzstadt, gehörte sie irgendwie immer zu Ungarn, zwischen den Weltkriegen  zu Rumänien, dann wieder kurz zu Ungarn und schließlich kam sie wieder zurück nach Rumänien. Da geht es ihr nicht anders als anderen Orten hier. Ungarn, Rumänen, Ruthenen, ein paar Deutsche und Juden leben an der Stadt an der ukrainischen Grenze.

Ellie Wiesel wurde hier geboren und die Stadt überrascht mit ein paar schönen alten Häusern, die den vergangenen Glanz der Monarchie erahnen lassen.

Wir wohnen in einem Hotel direkt im Stadtzentrum, doch, sie ist nicht unser Ziel.

Das ist der lustigste Friedhof der Welt im vielleicht 10km westlich liegenden Sapanta.

Als wir am Sonntag in einem Café in Viseu de Sus auf den Bus wartend rum lungerten, haben wir jede angebotene Mitfahrgelegenheit ausgeschlagen, um sicher zu gehen, auf dem Busbahnhof zu landen. Schließlich wollten wir ihn später nicht lang und breit suchen müssen. Außerdem gibt’s da auch einen Bahnhof. Doch da fährt wohl schon lange kein Zug mehr.

Und der Bus nach Sapanta fuhr dann auch irgendwo anders.

Sapanta, so lese ich im Reiseführer, taucht in jeder Pauschalreise auf, die Maramures im Angebot hat. Na das kann ja lustig werden.

Auf der Hauptstraße, wo uns der Fahrer absetzt, sieht es noch ganz gut aus, wir folgen den Hinweisschildern zum Friedhof und schon nach wenigen Metern sehen wir sie: Reisebusse. Wohnmobile. Deutsche Kennzeichen. An Ständen und in kleinen Buden, insgesamt vielleicht so an die 20 Stück,  wird Kunsthandwerk und Krempel verkauft. Kerstin will Geschirr aus Korond sehen. Mir kommt das Blau etwas falsch vor , wir drehen die Vasen um und wirklich, das Zeichen, das die Echtheit garantiert, fehlt.

Der Friedhof kostet Eintritt, 5RON pro Person. Aber die lohnen sich! 1935 hatte der Holzschnitzer Ion Stan Patras die Idee, dem Tod eine etwas leichtere Note zu geben. Er versah die Holzkreuze mit witzigen Reimen, die das Leben des darunter Liegenden zusammenfassten und auf einem geschnitzten Flachrelief stellte er den Verstorbenen so dar, wie ihn die Leute kannten. Ein kleines Dach schützt Reim und Relief vor dem Wetter. Und so stehen sie da. Leuchtend blaue Holzkreuze dicht an dicht. Und wegen der bunten Darstellungen erkennt auch der Fremde, wer da begraben ist oder, was ich ja besonders skurril fand, wie dieser zu Tode kam. Die Bewohner des Ortes müssen wirklich sehr viel Humor haben. Machen Sie sich beim Betrachten der Fotos Ihre eigenen Gedanken.

Ich mache bestimmt so an die 200 Fotos und kann mich gar nicht satt sehen. Immer wieder entdecke ich etwas Neues, was ich sofort Kerstin zeigen muss. Es sind auch gar nicht so viel Leute da, wie die Busse befürchten ließen, die meisten Insassen sind wohl grad shoppen. Oder Essen. Oder… jedenfalls weg.

Wir wollen uns noch ein bisschen das Dorf an sehen und laufen los. Hinter der nächsten Kurve ist nichts mehr zu spüren vom Tourismus. Allerdings sitzen auch keine Frauen mehr, wie im Reiseführer beschrieben, auf der Straße und weben. Die haben wohl doch längst lieber die Flucht auf ihre Höfe ergriffen. Stattdessen folgen wir einem Schild zu irgendwas technisch historischen und stehen an der ersten Fluss-Teppich-Waschstelle unseres Lebens. Hier wurde das Wasser in riesige Holzbottiche umgeleitet. Schade, jetzt hätte ich doch gern eine Vorführung der Volkstanzgruppe. Also nicht das ich die tanzen sehen will. Aber so eine Schau-Teppich-Waschung wäre doch cool.

Wir laufen weiter zum Haus von Patras, der schon vor einigen Jahren starb (sein Assistenz setzt seine Arbeit aber fort) und auch hier sind wir ganz allein. Und dann! winkt uns eine Omi in ihren Hof und führt uns ihren Webstuhl vor. Einfach so. Zum Spaß. Sie hatte wohl gesehen, wie wir versucht haben, ihn von der Straße aus zu fotografieren.

Wir folgen einem Schild zu einem Kloster. Etwas außerhalb liegt es und der Weg führt durch einen hübschen Mischwald Richtung ukrainischer Grenze. Mitten im Wald hängt wieder die Europaflagge. Die Rumänen sind sehr stolz darauf, dazu zu gehören. Echt. Ich habe noch nie so viele blaue Fahnen wie hier gesehen. In einem Dorf waren sämtliche Laternenmasten beflaggt, immer abwechselnd mit der Europa- und der Rumänienfahne.

Das Kloster scheint nagelneu zu sein. Und ist natürlich aus Holz. Eine Kirche und so eine Art Versammlungspavillon können besichtigt werden, der Wohnkomplex ist für Besucher gesperrt. Es gibt einen Picknickplatz und da ist er endlich: Der gefährliche rumänische streunende Straßenköter. Als wir unsere Brote auspacken, legt er sich in etwa 2m Entfernung hin und beobachtet uns aufmerksam und treuherzig. Dafür hat er auch eine Belohnung verdient. Was sag ich, ZWEI. Als er seine Wurststückchen gegessen hat trottet er Richtung Wohnkomplex. Hm. Wieder kein gefährlicher rumänischer streunender Straßenhund? Dabei hätte ich ihn echt gern aus seiner Not gerettet und adoptiert.

Wieder an der Hauptstraße nimmt uns ein Autofahrer mit bis zum nächsten Dorf. Obwohl der nur rumänisch  spricht, wissen wir bis dahin, dass er früher Jäger war. Dann aber hatte er einen Unfall. Ein Wildschwein verletzte ihn mit den Hauern so stark am Unterleib, dass er seinen Beruf an den Nagel hängen musste und nun als Holzschnitzer arbeitet. Wir folgen seiner Einladung in sein Haus, lernen Frau und Kinder kennen und sehen uns einige seiner Reliefs an.

Im Haus versuchen wir uns unauffälig umzusehen. Werfen schnelle Blicke in sich öffnende Türen. Klein sind die Zimmer in dem zweistöckigen Haus aus Lehm und Holz. Alles wirkt ein bisschen eng. Die Familie ist freundlich und bescheiden. Die Frau und die Kinder fast etwas verschüchtert ob des fremdländischen Besuches.

Die Einladung zum Essen lehnen wir dann allerdings doch ab, weil wir gern vor dem Dunkelwerden zurück in Sighet sein wollen. Schade, aber der Tag war einfach zu lang. Oder zu kurz. Ganz wie man es sehen will.

Das war ein langer Blog und dementsprechend gibt es jetzt viele Bilder. Die meisten sind selbsterklärend. Und das letzte ist ein Bonus.

(drauf klicken= groß gucken)

17 Kommentare leave one →
  1. September 20, 2012 9:05 am

    Welch grandiose und menschliche Idee das Totengedenken (memoria) in dieser Form zu gestalten. Faszinierend!

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    • September 20, 2012 8:27 pm

      Und trotzdem herrschte Stille auf dem Friedhof. Aber eben nicht diese bedrückende, auf der Seele lastende, sondern eher so eine Art heitere Ruhe.
      Ja. Aber das mit dem Autounfall und dem Ertrinken fand ich schon krass. Die müssen wirklich viel Humor haben, die Menschen da.

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  2. September 20, 2012 9:50 am

    Mir hat er sehr gefallen, dein „langer“ Bericht. Es sind doch genau diese Begegnungen, die ein Urlaubsland interessant machen. Und da bekommen manche andere Schönheiten gleich eine ganz andere Bedeutung.
    Ich glaube, ich mache mich mal mit meinem Jan auf nach Rumänien. Wir denken das an.

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    • September 20, 2012 8:19 pm

      Mach das. Am Ende des Reisetagebuchs schreib ich noch was zu den Kosten und der Organisation

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  3. September 20, 2012 9:59 am

    Den Friedhof finde ich Klasse! Seit langem schon geht es mir gewaltig gegen den Strich, wie wir hierzulande mit dem Tod umgehen – so düster, ernst, und auch irgendwie unaufrichtig… Es mutet seltsam an, dass in der heutigen „Krisen“-Lage ein Land noch so stolz darauf ist, in der EU zu sein. 😉 Der Hund schaut so was von treuherzig… Und ja, das letzte Foto ist wirklich ein Bonus – dieser knackige, braun gebrannte Kerl auf seinem Pferd… *Seufz!* 🙂

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    • September 20, 2012 8:20 pm

      Und auch noch ein weißes Pferd!!! Nachdem wir so viele freundliche Opis kennen gelernt hatten, haben wir dann doch ein bisschen Ausschau nach deren Enkeln gehalten. Und ich meine, da gibt es ja auch Holzfäller 😉

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    • September 20, 2012 8:34 pm

      Zum Stolz dazuzugehören wollte ich eigentlich auch heute morgen schon was schreiben. Wenn du dir mal anschauen magst, wieviel Geld von Brüssel in die Regionalfonds nach Rumänien fliesst, wird das schon verständlich.

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      • September 20, 2012 8:48 pm

        Ach ja, da wollte ich auch noch was sagen, liebe freiedenkerin. Ich glaube nämlich, wenn man jahrelang ein bisschen wie das Armenhaus Europas behandelt wird und, ausgeschlossen von den Vorzügen der EU, von außen zuschaut, dann freut man sich wirklich in der EU zu sein. Für den „kleinen Mann“ bedeutet das ja auch, dass er zum Beispiel leichter im Ausland Arbeit finden kann. Das ist, da viele ja wieder heimkehren, für den Aufschwung im Land genauso wichtig wie die von Herrn Ärmel angesprochenen Gelder aus Brüssel. Das Land profitiert also, im kleinen wie im großen. Zunächst jedenfalls.

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  4. September 20, 2012 3:50 pm

    Ja,…… doch, der Reiter sieht ja mal nicht schlecht aus, so ……. 😉
    Die anderen Bilder sind natürlich auch klasse!

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  5. September 20, 2012 7:47 pm

    der friedhof ist wunderschön! die kreuze sind echte kunstwerke und so farbenfroh. was weben die frauen auf den webstühlen? hier werden hauptsächlich ponchos gewebt, auch auf solchen webstühlen und unter freiem himmel.
    liebe grüße

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    • September 20, 2012 8:24 pm

      Hauptsächlich Decken. Die decken dort ja alles zu. Wirklich alles. Die Omi auf dem Bild hat reine Schafwolle benutzt, das wär was für Gudrun gewesen.
      Aber die Omi hatte auch Westen, Läufer, ich weiß gar nicht mehr, was noch alles

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  6. September 20, 2012 10:26 pm

    Das finde ich eine sehr schöne Art, den Toten Präsenz zu geben, sie zu ehren.
    Wunderbarer Bericht!
    GLG

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    • September 22, 2012 11:18 am

      Ja, und das nicht bei irgendeinem „Naturvolk“, sondern bei den tief gläubigen, orthodoxen Rumänen

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  7. September 20, 2012 11:58 pm

    Wenn ich das Grabkreuz auf dem einen Foto richtig interpretiere hat derjenige sich zu Tode gesoffen und geraucht. Und er (oder seine Angehörigen) beweisen deftigen Humor. Bei dem kleinen Mädchen das vom Auto überfahren wurde stockte mir allerdings erst mal der Atem. Mit drei Jahren sollte niemand sterben.
    Ansonsten wär ich ja auch dafür, dass auf meinem Grab getanzt, gesungen und gelacht wird eines Tages, vielleicht sollte ich mir für den Fall da unten etwas lustiges aus Holz bestellen, ist viel schöner als ein Grabstein.
    Aber da die Friedhofsordnung hier wohl etwas gegen Musik und Tanz hat werd ich weiterhin die Seebestattung vorziehen :D.

    Tolle Reise, ich beneide Dich um die Erlebnisse, ich befürchte meine Speicherkarten hätten nicht gereicht.

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    • September 22, 2012 11:17 am

      Da gings mir wie Dir. Bei dem Trinker, er war übrigens nicht der einzige, habe ich noch gelacht. Beim Autounfall blieb mir das Lachen im Halse stecken. Und was die Friedhofsordnung in Deutschland angeht, ich fürchte solche Grabkreuze sind da gar nicht erwünscht/erlaubt. Ich jedenfalls kenne einen, der für so was zuständig ist, also Grabsteine, Gräber und so, der erlaubt nicht mal einen zu großen oder zu kleinen Stein. Und Kreuze aus Metall schon gar nicht. Muss auch alles in Reih und Glied stehen…

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