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Die Gutmenschin

Dezember 26, 2011

Als ich letztens mal wieder eine längere Strecke im Zug zurücklegte, kam ich nicht umhin, der Erzählung einer Gutmenschin zu lauschen.

Die saß im Nachbarabteil und begleitete einen Herren aus den Niederlanden zum nächst größeren Flughafen, von wo aus er zurück in „seine“ Gemeinde irgendwo in Afrika fliegen wollte. Weil er ein bißchen mehr Gepäck, nämlich ganze zwei Koffer, mit hatte als üblich, hatte die Gemeinde hier in Deutschland, zu der die Gutmenschin gehörte, Geld gesammelt für die Bezahlung des Übergepäcks. Den Inhalt des Koffers hatte die Deutsche Gemeinde auch gespendet: Klamotten für eine gewisse Danielle. Weil, da in Afrika seien Klamotten ja so wahnsinnig teuer und Danielles Familie hätte ja so gar  kein Geld.

Ich fragte mich die ganze Zeit, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, statt für das Übergewicht zu sammeln, dem Niederländischen Herren die ersparten Groschen mit nach Afrika zu geben, wo er dann, indem er Klamotten für Danielle dort kauft, nicht nur der bitterarmen Familie des Mädchens, sondern der vermutlich ebenfalls bitterarmen Familie der Schneiderin auch noch ein bißchen geholfen hätte…

Aber, nur so Geld zu spenden macht vermutlich nicht so viel Spaß, wie ein paar abgelegte Kleider rauszusuchen. Letzteres ist irgendwie grifflicher, man kann sich vorstellen, wie sich jemand über das gute Stück freut und es fühlt sich irgendwie besser an, als 5€ in eine Spendenbüchse zu stecken. Und im eigenen Schrank wird ganz nebenbei auch Platz geschaffen für neuen Fummel.

Man kann es den Menschen nicht übel nehmen. Sie meinen es wirklich gut und tun die Dinge, die sie tun, mit reinem Herzen und aus einem tiefen Gefühl der Nächstenliebe heraus. Sie wollen wirklich helfen. Vermutlich hat ihnen niemand gesagt, dass sie, so gut ihre Aktion auch gemeint ist, irgendjemandem in Afrika damit mindestens seines Wochenlohns beraubt haben.

Und es gibt einem ja auch so ein gutes Gefühl.

Aber zurück zu unserer Gutmenschin. Die, so Mitte 60, war auch schon mal da, in Afrika. Da, wo der Niederländische Herr, den sie zum Flughafen begleitet, heute hinfliegt. Eine weitere, weit jüngere Begleiterin, fordert sie auf, zu erzählen.

Nun, nennen wir sie Barbara, ist ein festes Mitglied ihrer Gemeinde. Eine Christin, die ihren Glauben wahrhaftig lebt. Und dafür auch Strapazen auf sich nimmt. 7 Wochen hat sie an einem Gebetsmarsch von Berlin nach Moskau teilgenommen. Da schlief sie jede Nacht in einer anderen Turnhalle. 54 Jahre alt war sie da!

Und in der Türkei war sie auch schon mal auf einer organisierten Pilgerreise, musste aber nach 3 Wochen abbrechen. Die Strapazen waren doch zu stark.

Nun also Afrika! Da wollte sie schon immer mal hin! Hätte sie nicht blöderweise in der DDR gelebt, wäre sie da schon als junge Frau hin, in irgendeine Mission oder wo man eben sonst noch so helfen kann.

Nun also letztes Jahr.

Vier Wochen.

Afrika war ein Schock! Die Straßen in schrecklichem Zustand, das ganze Land viel zu laut und zu schmutzig! Nein, das war ihr alles zuviel. Sie hat zu Gott geschrien! Wollte sofort wieder zurück. Die Gastgeber (Afrikaner) ja ganz nett. Aber dieses Leben! Dieser Rhythmus! Und sie hat ja auch so gar nichts verstanden! Niemand, wirklich NIEMAND sprach dort Deutsch!

Eine Woche hat sie gebraucht, um geistig anzukommen… und bei ihren neuen, weißen, Gastgebern. Nun da, bei den Weißen, sei es schon besser gewesen. Schon die ganze Lebensart sei ja erträglicher. Trotzdem habe sie immer noch den Drang gehabt, wieder zurück zu fliegen. Der sei eigentlich die ganzen vier Wochen geblieben. Nur, sie konnte ja nicht. Der Flug war ja nun mal schon gebucht. Es war eine Prüfung. Sie hat Gott sehr real erlebt.

Und es gab ja auch schöne Begegnungen und Momente. Z.B. der, als eine Englische Jugendgruppe eintraf, um die Räume des Gemeindezentrums neu zu streichen. (Ich nehme an, die Englischen Jugendlichen haben sich auch ganz toll gefühlt ob ihrer guten Tat mitten in Afrika).

Nun ist Barbara also wieder in Deutschland. Da, wo (fast) alle Deutsch reden. Ein eifriges Mitglied ihrer Gemeinde, die gerne und engagiert mitarbeitet, wenn es darum geht, der Afrikanischen Partnergemeinde zu helfen.

Hilfe tut so gut! Für das eigene Gefühl. So aus der Ferne.

Sind sie nicht hübsch, die kleinen Afrikanischen Kinder? Erfreut uns das glückliche Lachen des Afrikanischen Mädchens nicht, da auf dem Foto, in dem Kleid, dass Gisela noch vorletzten Sommer trug?

Es tut so gut, zu helfen, fern der Realität. Man darf sich dabei so menschlich fühlen. Einfach gut.

Schade nur, dass sich unsere Lebensart, unser Glauben und unser Rhythmus nicht so einfach den Bedürftigen dieser Welt wie ein Kleid überstreifen lässt.

(Trotzdem. Wir helfen gern.

Gott gebe, dass sie nicht eines Tages nicht mehr auf unsere Hilfe angewiesen sind.)

22 Kommentare leave one →
  1. Brigitte permalink
    Dezember 26, 2011 10:31 am

    Siehst du, dass habe ich mich auch schon gefragt, warum in unserer Gemeinde eine ganze Gruppe (Pfarrer, Teile des Kichenvorstandes und Gemeindemitglieder) UNBEDINGT die Partnergemeinde in Ghana besuchen musste. Hab ich nicht verstanden. Besser wäre es doch gewesen, den Reiseetat zu spenden, oder? Ganz abgesehen mal von den Bewirtungskosten, die in der Partnergemeinde entstanden sind.

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    • Dezember 26, 2011 10:45 pm

      Genau das meine ich

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    • Dezember 28, 2011 8:28 am

      Das hat einen Grund: damit werden aus unbekannten Almosenempfängern Menschen, die man kennt.
      Der Wert einer Gabe ist nicht immer an der Dollarzahl zu messen, die dabei „herausspringt“.
      Aus diesem Grund organisiert die Gesellschaft für die Zusammenarbeit der Kirchen (defap) in Frankreich auch regelmäßig Reisen für die Europäer nach Afrika und für die Afrikaner nach Europa.
      Allerdings keine abgelegte-Klamotten-Bomber…

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      • Dezember 28, 2011 9:00 am

        So ähnlich hat meine große Tochter auch letztens argumentiert (nur nicht so nett). Das ist ja auch ein nachvollziehbares Argument. Nur finde ich eben sehr oft Menschen, egal ob Christen oder Nicht-Christen, Barbara ist ja nur ein Beispiel, das ich wirklich so erlebt habe, die so damit beschäftigt sind, „gut“ zu sein, dass sie unreflektiert alles tun, um sich in diesem Licht zu sonnen. Und dabei nicht darüber nachdenken, ob sie mit manchen Aktionen nicht eher Schaden anrichten. Dann wird Hilfe für mich zum Selbstzweck.
        Ich spende ja auch für alle möglichen Sachen und habe Anfang der 90er einen Verein gegründet, der Projekte in einer Stadt in Rumänien unterstützte. Und natürlich waren wir auch häufiger dort (waren wir ja schon vor der Wende). Und natürlich haben wir auch private Kontakte zwischen Leipzigern und Menschen in Mircurea Ciuc hergestellt. Reisen dahin haben wir allerdings nicht organisiert. Wenn jemand hingefahren ist, dann wurde er mit einer dort zu erledigenden Aufgabe betreut, für die er auch qualifiziert war. D.h. es sind nur Leute hingefahren, die für bestimmte zu erledigende Aufgaben qualifiziert waren.

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        • Dezember 28, 2011 10:34 am

          Nun, wenn ich an die Haiti-Hilfe denke, da wird jetzt auch kein Tourismus veranstaltet. Und wird deutlich gesagt seitens der Fondation Protestante, „wir brauchen Geld, keine Güter; Güter können wir kaufen, aber wir müssen auch erst mal Häfen bauen, wo Schiffe landen können, damit Güter kommen können.“ Und Gehälter bezahlt man auch nicht in getragenen Socken.

          Das defap organisiert für die Partnerkirchen auch eher Ausbildung der Geistlichen etc., und die Reisen, die von hier nach dort gehen, dienen der Sensibilisierung, wie die Reisen in die andere Richtung einen Bildungsauftrag haben: du gehst für drei, vier Monate nach Frankreich, studierst ein Semester am Institut Protestant, und die Franzosen bezahlen es, damit du nachher dein Wissen an junge Pastoren in deinem Land weitergeben kannst.

          Andererseits ist Europa und speziell Frankreich ja längst ein Missionsgebiet…

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  2. Dezember 26, 2011 11:28 am

    Toller Post! Ich habe ja in meinem Blog auch schon über „Revolutionstouristen“ geschrieben; damit meinte ich allerdings „die da oben“. Da werden genaz andere Reisekosten verbraten.
    Dein Beispiel ist nur eines von vielen von den „Leuten da unten“. Durch meine wechselnden Lebensorte in der sogenannten „Dritten Welt“ erlebe ich derlei Un-Sinn tagtäglich – mittlerweile finde ich es einfach nur noch schrecklich.
    Dagegen sind die normal ignoranten Touristen geradezu harmlos.

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  3. Dezember 26, 2011 11:29 am

    sorry – das sollte natürlich „…ganz andere Reisekosten…“ heissen—

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    • Dezember 26, 2011 10:48 pm

      Danke, Herr Ärmel. Ich nehme mich ja selbst nicht aus davon, auch schon Unsinn verzapft zu haben. Ich hatte aber immer das Glück, auf Leute zu treffen, die mich mit der Nase drauf gestoßen haben. Naja, und glücklicherweise bin ich nicht begriffsstutzig.

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  4. Dezember 26, 2011 2:09 pm

    Das hat mir jetzt richtig gut getan zu lesen. Manches weiß man schon, aber oft läßt man sich anstecken und macht dann doch Dinge, die man eigentlich schon mal verworfen hatte. Warum? Weil man sich eben gut fühlt. Oder, weil man sich doch wieder ein schlechtes Gewissen einreden lasssen hat.
    „Hilfe“ ist bei mir nun wirklich etwas „kleiner“ angesiedelt, und das hat nicht nur etwas mit den Möglichkeiten zu tun, sondern eher etwas mit Nachhaltigkeit. Und gar nichts zu tun hat es mit Weihnachten.

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    • Dezember 26, 2011 10:50 pm

      Es ist ja richtig, dass man sich gut fühlt, wenn man etwas Gutes getan hat. Es darf eben nur nicht zum Selbstzweck werden.

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  5. Dezember 27, 2011 3:34 pm

    toller post! es wäre schön, wenn „barbara“ das lesen könnte.
    liebe grüße

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  6. Dezember 27, 2011 6:41 pm

    Auweia, Prediger auf Tour, das kann ja nicht gut gehen. Sollen sie Brot für die Welt sammeln, aber in Gottes Namen (sic!) mit dem Hintern zuhause bleiben, dann bleiben ihnen die schmutzigen Straßen, die fremde Sprache und die ganzen anderen schlimmen Begleiterscheinungen erspart.

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  7. Dezember 27, 2011 9:31 pm

    Einen sehr interessanten Bericht bezüglich Kleiderspenden gab es kürzlich im TV.
    Hier kann man Infos darüber nachlesen:
    http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/die_reportage/hintergrund/altkleider101.html
    LG von Rosie

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    • Dezember 27, 2011 10:01 pm

      Danke für diesen Link! Der ist wirklich empfehlenswert

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    • Dezember 27, 2011 11:37 pm

      Dein Link ist ein guter Fund – aber nach meiner Erfahrung gleicht das eher der Spitze eines Eisberges. Wenn man genau nachforscht, wie europäische (nicht nur deutsche!) private Hilfsbereitschaft in den Empfängerländern funktioniert und vor allem, was sie wirklich bewirkt, lässt man vieles lieber, da den dortigen Menschen am langen Ende oft Schaden entsteht.

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  8. tiger permalink
    Dezember 28, 2011 4:23 pm

    An den Altkleiderbericht mußte ich auch gleich denken.
    Und die Spender hier glauben, sie tun ein gutes Werk….

    Aber es ist nicht nur die Kleidung.
    Vor einiger Zeit habe ich einen ähnlichen Bericht über TK-Hähnchen gesehen:

    http://www.3sat.de/page/?source=/ard/sendung/147509/index.html

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    • Dezember 29, 2011 10:24 am

      Danke für den Link! Das ist wirklich der Hammer und leider nur ein Beispiel dafür, wie durch Subventionen in Europa Wirtschaften in ärmeren Ländern platt gemacht werden

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  9. Dezember 28, 2011 7:20 pm

    apropos Altkleider. Wir geben unsere „Altkleider“ regelmässig in die psychiatrischen Heime in unserer Nähe. Damit wird dann kranken Menschen geholfen, um die sich niemand mehr kümmert oder kümmern kann. Alles was dort nicht sebst verbraucht werden kann, wird dem ebenfalls dort betriebenen 2nd-Hand-Laden verkauft. Das scheint gut zu funktionieren, die wir haben als Studenten schon vor über 30 Jahren dort immer unseren „coolen Klamotten“ billigst gekauft.

    Auf diese Weise habe ich etwas fundamentales gelernt: „think globally, act regionally“. In diesem Fall: nicht die irgendwo auf der Welt von Kindern hergestellten Klamotten neu und vor allem billigbilligbillig kaufen und ausserdem mit den Menschen im eigenen Umfeld in Aktion und Kommunikation treten. Dabei kann man zum Beispiel ganz konkret miterleben, was mit den eigenen Spenden geschieht – –

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  10. Dezember 29, 2011 10:23 am

    @Wolfram
    Ich verurteile ja nicht die Hilfe und Hilfsaktionen an sich. Wer bin ich, dass ich so etwas verurteilen könnte. Ich verurteile aber Ignoranz den Hilfsbedürftigen gegenüber, Hilfe als Selbstzweck, also für das eigene gute Gefühl, so wie ich es eben bei „Barbara“ im Zug erlebt habe. Vor allem aber, wie sie mit der Situation in Afrika umgegangen ist. Ich hab ja auch ein Patenkind in Südamerika und spende für das Beseitigen von Minen in ehemaligen Kriegsregionen.
    Und ich rege mich natürlich furchtbar drüber auf, wenn Leute, die ach so viel für Menschen sonst wo tun, das Leid im eigenen Land nicht nur übersehen sondern sich gar belästigt fühlen vom Bettler um die Ecke.
    Da gebe ich Herrn Ärmel Recht. Ich bringe meine abgelegten Sachen auch lieber hier in L.E. in Heime. Da stellt sich auch der Kontakt zu den Hilfsbedürftigen ganz von selber her. Und den zu z.B.Afrikanern, Tschetschenen oder Irakern habe ich bei meiner Arbeit für „Kein Mensch ist illegal“
    Ganz nach dem Rat, den mir ein Irakischer Kurde mal gab auf meine Frage, wie ich denn helfen könne. Er meinte, ich solle mich um Unrecht und Bedürftige im eigenen Land kümmern, statt die Welt irgendwo anders verändern zu wollen. Das sei zwar schwieriger, helfe aber letztendlich auch den Menschen anderswo auf der Welt

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