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Die Träume der Eltern

Dezember 20, 2011

Als ich heute von einem Plenum  mit dem Bus nach Hause fuhr, bot mir das Fahrgast-TV einen Reigen der Leipziger Olympiahoffnungen für London 2012. Unter den Sportlern auch eine Judoka.

Mein Kind, das kleine, hat ja auch mal Judo gemacht. Einerseits hatte ich sie da hin geschleppt, weil sie schon lange vor Schulbesuch lesen und über die Hunderter rechnen konnte und ich fand, dass es für sie sinnvoll  wäre, als ihr in der 1. Klasse alles ohne große Mühe zufiel, zu lernen, dass es auch Dinge gibt, die eben erlernt werden müssen. Andererseits wollte ich nicht den Fehler wiederholen, den ich bei ihrer großen Schwester gemacht hatte. Die nämlich quälte sich beim Keyboard-Unterricht und anderen künstlerischen Betätigungen, nur um dann nach der 6. Klasse aufs Sportgymnasium zu wechseln.

Doch während das große Kind, dass sich vorher ebenfalls schon mal im Judo versucht hatte, nun glücklich Rad fuhr, rannte und schwamm, waren die ersten Wochen und Monate für das kleine beim Sport tatsächlich eine Herausforderung. Sogar Tränen gab es am Anfang, als die Rolle vorwärts nicht auf Anhieb klappte.

Doch ein Jahr später wechselte sie zum Judoclub Leipzig und irgendwann ging sie nahezu täglich zum Training. An den Wochenenden fuhr ich nun entweder das große, inzwischen ganz zum Radsport gewechselte Kind zu Rennen oder das kleine zu Judoturnieren. Eins hatten alle Wochenenden gemeinsam: wir saßen in aller Hergottsfrühe im Auto und kutschten durch die Republik, nur, um das jeweilige Kind gegen 8:00Uhr einzuschreiben oder zu wiegen und dann den halben Tag lang zu warten, dass der Wettkampf beginne. Und: Ich lernte eine Menge Eltern kennen. Sehr ehrgeizige Eltern. Ich habe Väter erlebt, die ihren Sohn niedermachten, weil er, der gerade gewonnen hatte, 2 sec langsamer war, als vom Erzeuger erwartet. Und Mütter, die für ihre 10jährige Tochter nicht von 2012 träumten, sondern die Teilnahme des Kindes als Gottgegeben voraussetzten. Und das, obwohl die Trainer oft genug der Meinung waren, dieses Talent bei eben diesem Kind nicht zu erkennen. Es war erschreckend zu sehen, dass diese Eltern keinen anderen Lebensplan für ihre Kinder zuließen, dabei wäre es doch ihre Aufgabe gewesen, Alternativen zum Sport aufzuzeigen und anzubieten. Denn ehrgeizig genug sind die Kinder oft selber. Und kein 12jähriger geht 5-6 mal die Woche zum Training ohne nach seinen großen Vorbildern zu schielen und von Titeln und Olympiasiegen zu träumen.

Doch wie schnell zerplatzt so ein Traum. Da braucht nur eine Krankheit dazwischen zu kommen, eine schwerwiegende Verletzung, manchmal reicht ein ungünstiger Knochenbruch schon aus. Um ganz nach oben zu kommen, reichen Talent und Fleiß nicht aus. Man muss auch gesund bleiben, und ein Quäntchen Glück gehört auch dazu. Ich habe mich oft gefragt, wie diese Kinder wohl damit zurecht kommen werden, wenn ihr Traum von der Sportlerkarriere platzt und sie plötzlich feststellen, dass sie eigentlich gar keine anderen Interessen haben. Ich habe diesen Fall nicht miterlebt. Das große Kind verließ das Sportgymnasium nach der 10. Klasse und das kleine ging gar nicht erst hin, wohl aber noch zwei Jahre zum Training, ehe es in der 7. Klasse oder so aufhörte, seine Nachmittage und Wochenenden in Judohallen zu verbringen und seine Freizeit  statt dessen mit Dingen wie dem Keyboardunterricht verbrachte.

Heute saß ich im Bus und sah im Fahrgast TV die Aufzählung der Leipziger Sportler und Sportlerinnen, die wohl nach London fahren werden. Eine Judoka war auch dabei. Das Mädchen, dessen Mutter sie schon dort wähnte, war es nicht. Ich hoffe, es geht ihr gut und sie hat ihren Weg gefunden, auch ohne Olympiasieg.

 

6 Kommentare leave one →
  1. Brigitte permalink
    Dezember 20, 2011 8:59 am

    Immer und überall das Gleiche: bei uns war es das Schwimmen, wo sich manche Eltern wie die Verrückten „einbrachten“. Wir haben es beim Hinbringen zum Training und gelegentlichen (wenn von der Fahrgemeinschaft eingeteilt) Gruppentransporten zu Wettkämpfen belassen. Die Wahrnehmung war jedoch unterschiedlich: während ICH das Gefühl hatte, Stunden meines Lebens in dämpfigen Schwimmhallen verbracht zu haben, hat uns unsere Tochter mal an den Kopf geschmissen „wir wären nie da gewesen“.
    Egal, Wettkampfschwimmen hat sich dann durch Krankheit erledigt. Reiten blieb. Und heutzutage? Sie Yoga und Tae Bo, ich Qi Gong. So ändern sich die Zeiten…..

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  2. Dezember 20, 2011 6:19 pm

    Ach ja, Judo. Ich hab das als Student an der Uni gemacht, weil ich etwas machen wollte, was die Muskeln etwas gleich belastet. Ausarbeiten wollte ich mich, aber nicht so aussehen wie die Ruderer. Vorteile habe ich jetzt noch. Wenn die Straßenbahn etwas sehr ruckelig fährt, kann ich mich ganz gut halten auf meinen Beinen. Und wenn ich mal hinfalle, weil es vielleicht glatt ist, dann kann ich mich ganz gut abfangen. Rolle rückwärts mache ich allerdings nicht mehr. 😀

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  3. Dezember 20, 2011 8:14 pm

    Gegen Judo ist ja auch nichts einzuwenden und auch nichts dagegen, dass die Kinder nach der Schule noch in einen Sportverein gehen. Im Gegenteil, ich habe da immer drauf bestanden. Es ist auch nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Kind ehrgeizig ist. Das sollte man fördern. Nur die Verantwortung der Eltern liegt eben auch darin, dem Kind immer auch zu zeigen, dass Sport nicht alles ist. Leider aber trifft man in vielen Vereinen, die schon in den Kinderaltersklassen einen gewissen Leitungsanspruch haben, viel zu viele überehrgeizige Eltern.

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  4. Dezember 21, 2011 2:49 am

    Als Nichtsportler sind das für mich völlig fremde Welten. Erziehungssache, natürlich, meine Eltern haben null Sport getrieben. Dabei war ich bei Sportfesten immer Klassen- und Stufenbester, allerdings nur im Sommer, bei Fußball und Leichtathletik. Im Winter gingen die Leistungen in die andere Richtung, Bodenturnen, Reck, Seitpferd und andere schreckliche Instrumente waren nichts für mich. Judo war was für Kinder, die sich sonst nicht wehren konnten, ich konnte, daher hab ichs schnell wieder aufgegeben, zu anstrengend dieses Konditionsgebolze.
    Ein Jahr Handballverein (mit 13, weil der Turnlehrer dort Trainer war und uns mehr oder weniger rekrutiert hat) und drei Jahre Fußball in der Tresenliga, bei dieser sportlichen Karriere hatte ich keinerlei Hoffnung auf irgendwelche Ambitionen in dieser Richtung bei meinem Kind, ich hatte ja selber keine.
    Im Westen wurde Sport nicht gerade gefördert, ein paar Stunden Schulsport in der Woche, das wars. Der Rest ist Privatinitiative, wenn sich die Eltern da nicht engagieren, dann findet Sport nicht mehr statt.
    Meine Träume bewegten sich in völlig simplen Dimensionen, ein Schulabschluss mit dem das Kind die Ausbildung machen kann, die es machen möchte und diese Ausbildung abschließen. Der einzige Rat, den ich meinem Kind gegeben habe war, einen Beruf zu wählen, der Spaß macht und persönlich bereichert. Denn der dickste Scheck am Monatsende macht keinen Spaß, wenn man sich dafür 50 Jahre lang täglich quälen muss.
    Hat alles geklappt soweit und da bin ich ganz zufrieden mit, auch ohne sportlichen Ehrgeiz.

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  5. Dezember 21, 2011 2:34 pm

    Hier sehe ich es eher in der Schule als im Sport.
    Wer hier nicht auf den gymnasialen Zweig geht, der hat eigentlich schon verloren. Und selbst dann ist aber Durchschnitt noch zu wenig. Es müssen immer Bestleistungen her.
    Bereits in der Primarschule wird gedrillt wie verrückt und die Eltern stehen regelmässig beim Lehrer vor der Tür und mäkeln hier und da herum, wegen Nichtigkeiten!!!

    Traurig eigentlich. Die Kinder können nicht mehr einfach nur Kinder sein.

    Bei meinen hat jedes eine Sportart (höchstens 2x Training in der Woche) und wenn es mag, noch ein Musikinstrument. Mehr nicht. So bleibt auch noch mal ein freier Nachmittag oder zwei, um mit Freunden etwas zu unternehmen.

    Liebe Grüsse
    asty

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  6. Dezember 21, 2011 11:18 pm

    Ob in der Schule, beim Sport, Ballett oder Geigenunterricht, wenn der Ehrgeiz der Eltern das Wohlergehen des Kindes außen vor lässt, schrillen bei mir immer die Alarmglocken. Klar wollen alle Eltern das beste für ihre Kinder. Und wenn man bedenkt, wie lange Kinder in der Schule heutzutage zum Stillsitzen gezwungen sind, halte ich es schon für wichtig, dass die Kinder außerschulischen Sport machen. Nur kann es da passieren, dass sie auf etwas zu ehrgeizige Trainer treffen. Davor sollten die Eltern sie schützen.Wenn die Kinder selbst den Ehrgeiz entwickeln, dann ist das ja ok. Nur sollten Eltern dann mit dem Nachwuchs auch immer etwas unternehmen, dass nichts mit Sport zu tun hat, vielleicht noch ein paar andere Interessen erspüren oder wecken. Mit dem Geigenunterricht ist es dasselbe. Wenn ein Kind eben talentfrei ist oder keine Lust hat, da nützt doch der ganze Ehrgeiz der Eltern nichts. Nur sehen das eben manche nicht ein. Und mit der Schule ist es dasselbe.. Am Gymi meiner kleinen Tochter hatte ich mal mit Eltern zu tun, die schon, als ihr Sohn in der 5. Klasse war, wussten, dass er mal Medizin studiert!!! Das muss man sich mal vorstellen!

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