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Diese Wohnung ist besetzt

Mai 26, 2011

In dieserWoche war ich mal wieder direkt im Uniklinikum beschäftigt. Ich saß in meinem alten Büro in der Johannisallee und auf dem Arbeitsweg musste ich an einer meiner ehemaligen Wohnungenvorbei. Dort, in einem der Hinterhäuser, hatte ich Anfang der 80er Jahre eine Wohnung besetzt. Ich wäre gern mal auf den Hinterhof gegangen und hätte einen Blick auf das Haus geworfen. Aber die Tür des Vorderhauses ist verschlossen. Das übrigens, als eins der letzten in der Straße, nicht saniert.

Gleich daneben ein Polizeirevier. Das war in den 80ern noch nicht da. So frech wäre ich dann doch nicht gewesen.

Es war meine erste eigene Wohnung in Leipzig. 3 oder 4 Jahre vorher hatte ich die Stadt verlassen. Einige meiner Freunde hatten sich umgebracht und die „Szene“ ertrank ihren Frust und die Ausweglosigkeit in zu viel Alkohol. Ein Jahr vorher war ich festgenommen worden, danach 2 Wochen lang täglich von der Stasi verhört wurden. Ich wusste nicht, wohin das führen sollte und brauchte Abstand.

Und Zeit.

Ich bin in den Norden gegangen, in ein Kaff in der Altmark. Später hab ich dann sogar im Grenzgebiet gewohnt. Weil ich zwischenzeitlich einen Bauern geheiratet hatte und damit vorrübergehend einen anderen Namen trug, bin ich wohl durchs System gerutscht. Bis ich zwangsumgesiedelt werden sollte. Da war wohl, nach gerade mal zwei Jahren, was schief gegangen mit meiner Integration. Ich zog die Notbremse, reichte die Scheidung ein und kehrte nach Leipzig zurück.

Nur, vor 30 Jahren zog man  nicht einfach in eine Stadt. Da brauchte man nämlich eine Zuzugsgenehmigung. Und die bekam man nur, wenn man zB eine Arbeit hatte. Der Wohnraum reichte ja nicht mal für die Einwohner, da konnte nicht einfach jemand aus der Provinz kommen, auch nicht wenn er/sie eigentlich Ur-Leipziger war. Einen wichtigen Job hatte ich auch nicht (eigentlich gar keinen). Ich zog also zu Alex in die Wohnung. Die lag in Reudnitz. Und Alex hatte ich ein paar Monate vorher auf einer Party, die damals noch Fête hieß, kennen gelernt. Da das mit dem Telfonnetz damals auch noch nicht weit her war, packte ich also meine Siebensachen in einen LKW und fuhr nach Leipzig in der Hoffnung, dass Alex mich nicht vergessen hatte.

Hatte er nicht. Hatte sogar ein Zimmer der 3-Raumwohnung gemalert!

Es gab nur einen Schlüssel für die Wohnung, der lag immer eine halbe Treppe tiefer auf’m Klo. Das wusste irgendwie die halbe Republik. Ständig wohnten oder schliefen da Leute mit, die wir vorher nie gesehen hatten und Freunde vom Bruder einer Freundin von Freunden von Alex’ Schwester waren. Oder so. Machte aber nix. Wir waren eh immer unterwegs. Das mit dem Abwasch haben wir so geregelt, dass, wer sauberes Geschirr brauchte, sich dieses eben mal schnell abgewaschen hat. Und wer Essen im Kühlschrank bunkern wollte, war selber Schuld, wenn’s dann weg war.

Wenn es Ärger mit der Polizei gab, musste immer ich zur Wache. Weil ich hatte später als einzige einen geregelten Job. Und gemeldet waren ja eh nur Alex und ich in der Wohnung, obwohl da zeitweise bis zu 5 Leuten dauerhaft wohnten. Außerdem waren die Jungs der Meinung, dass ich auf den ABV den seriösesten Eindruck machte. Meine Mitbewohner haben sich dafür um Kohle gekümmert. Ich meine jetzt echte Kohle, zum Heizen. Weil wir nie genug von der anderen Kohle hatten, um die Heizkohle zu bezahlen, mussten die die irgendwie organisieren.

Ich blieb da, bis ich eines Tages nach Hause kam und Bauschutt auf meinem Bett fand. Der stammte von der Wand zwischen Küche und meinem Zimmer. Die hatten die Jungs rausgerissen. Ich weiß nicht mehr, warum. Jedenfalls verließ sie der Elan als es darum ging, den Schutt zu beseitigen. Ich packte meinen Krimskrams und zog zu einem Freund in eine 1-Raum-Wohnung.

Das war nun wirklich suboptimal.

Ich schaute mich also nach einer neuen Bleibe um.

Damals gab es in Leipzig viele besetzte Wohnungen. Die meisten meiner Freunde wohnten irgendwo illegal (Wenn ich so nachdenke, fallen mir jetzt auf Anhieb nur drei ein, die einen Mietvertrag hatten). Manchmal mit verheerenden Folgen, wenn die Abrissbirne ausgerechnet dann kam, als der Besetzer nicht zu Hause war. Stress staatlicherseits gab es nur mit besetzten Häusern. Die wurden dann gern mal leer geräumt und danach zugemauert, aber nicht bevor Schornsteine und Öfen zerstört und die Häuser damit für erneute Besetzungen unbrauchbar gemacht worden waren. Die meisten wohnten irgendwo im Osten, Thälmannstraße, Bernhardstraße und Erich-Ferl-Straße.

Auf Ersatzteilsuche in einem Abrißhaus

Aber meine damals engsten Freunde besetzten damals schon seit Jahren ein Hinterhaus in der Stö.  Über die Jahre hatten die das Abrisshaus auf Vordermann gebracht. Schornsteine und Dach repariert, neue Öfen gesetzt und Fenster ausgetauscht. Es gab ja damals genug leer stehende Häuser, aus denen man sich das notwendige Baumaterial holen konnte. Und weil es ein Hinterhaus und von der Straße aus nicht so offensichtlich war, was da abging, hatten die Ruhe. Und außerdem lag ja, wie schon erwähnt, das Zentrum der Besetzungen damals mehr im Osten der Stadt.

Dort habe ich auch zuerst gesucht. Ich wollte ne einzelne Wohnung, um unauffällig zu bleiben. Vorausgesetzt natürlich, die Hausbewohner kriegten nicht mit, dass ich da illegal war. Um herauszufinden, wie die Bewohner so drauf waren und ob sich eine schnelle Übernahme durchziehen ließ (d.H. in einem Ruck Tür aufbrechen, neues Schloss einbauen und Namenschild an die Tür), musste man also etwas genauer hinsehen. Und dann kam mir der Zufall zu Hilfe, bzw dieses ominöse Netzwerk an Informationsaustausch und -weitergabe, wie es im Osten immer funktionierte. Jemand zog ganz offiziell wegen Unbewohnbarkeit aus einer Hinterhauswohnung in der Nähe des Uniklinikums in eine chice Neubauwohnung nach Grünau. Für 20 Ostmark überließ er mir den Schlüssel, nach dem niemand bei der Kommunalen Wohnungsverwaltung gefragt hatte. Ich klebte ein zerbrochenes Fenster mit Folie zu, sperrte ein versüfftes Zimmer ab, klebte ein Namensschild an die Tür und zog ein. Ein leckendes Loch im Dach wurde später zugekleistert, die Folie in der Küche durch ein passendes Fenster aus einem anderen Haus ersetzt. Drei Zimmer, von denen eins sogar beheizbar war, nannte ich nun mein eigen, und eine Küche, in der sogar ein Gasherd stand! Das Klo war ne halbe Treppe tiefer, aber weil ich da nie meinen Wohnungsschlüssel deponierte, musste ich nachts auch keine Fremden aus meinem Bett schmeißen.

Viele Menschen waren trotzdem immer da. Drei Zimmer! Wer hatte schon soviel Platz?

Ps.:

Ich hab heute mal ein bisschen im Internet recherchiert, was es so zu Hausbesetzungen in Leipzig gibt. Seltsamerweise beginnt in allen Quellen die Hausbesetzung in der Stö erst nach der Wende. Meines Wissens waren da aber mindestens zwei Häuser schon seit den frühen Achtzigern besetzt. Genau weiß ich es aber nicht, denn nach den Festnahmen zur Dokfilmwoche reisten die Besetzer, die zu meinem Freundeskreis zählten, zwischen 1984 und 1985 nach  West-Berlin aus. Überhaupt ist das, was ich im Internet gefunden habe, entweder schlampig recherchiert oder aus falscher Sicht beschrieben. Der einzige gute Artikel zur Situation in Leipzig vor 1989, wo es aber nicht um die Hausbesetzungen geht,  findet sich beim CI. Wer nachlesen will : Link

4 Kommentare leave one →
  1. Juni 20, 2011 2:46 pm

    Ein sehr schöner Bericht!

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  2. September 9, 2014 5:44 pm

    All diese wunderbaren und interessanten Erinnerungen schreien wirklich danach komplett aufgeschrieben und als Roman veröffentlicht zu werden. Ich mag diesen Blog sehr!

    Liebe Grüße,
    Tanja

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